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Aktualisiert am 06.02.2023 - 10:46 Uhrin Karl PilnyLesedauer: 10 Minuten

Pilnys Asia Insights Indien profitiert von Chinas Problemen und erschafft eine neue Weltordnung

G20-Gipfel auf Bali: Der indische Premierminister Narendra Modi zusammen mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak.
G20-Gipfel auf Bali: Der indische Premierminister Narendra Modi zusammen mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak. | Foto: IMAGO Images / ZUMA Wire)

Während China den Beginn des neuen Mondjahres, nämlich das des Hasen, feiert und mit Spannung auf die Corona-Auswirkungen der landesweiten Reisezeit wartet, wenden wir den Blick nach Westen: zum Shooting-Star Indien, den wir bereits im vergangenen Text demographisch analysiert haben. Nun legt Regierungschef Narendra Modi nach und wir auch. 

Zum Auftakt der virtuellen G-20 Konferenz „Stimmen des globalen Südens“, bei der 120 Regierungsvertreter zugeschaltet waren, machte Modi den globalen Führungsanspruch von Indien deutlich. Selbstbewusst verkündete er das Ende der weltweiten Führung durch die sogenannten entwickelten Länder des Westens.

Er verwies darauf, dass diese im 21. Jahrhundert immer langsamer wachsen und immer weniger wichtig sind. Wenn der „globale Süden“ eng zusammenarbeitet, wird nach seiner Meinung das globale Wachstum in diesem Jahrhundert klar von dort kommen und die neue Weltordnung prägen. 

Indien hatte den G-20-Vorsitz von Indonesien übernommen und wird 2024 von Brasilien und 2025 von Südafrika abgelöst werden. Die früher so bekannten Brics-Staaten sind also nun – wenn auch ohne Russland – symbolträchtig am Drücker.

Vor allem Indien tritt äußerst selbstbewusst auf und hat sich eine neue Rolle geschaffen.

Indien will Japan und Deutschland überholen

Bis 2028 will Indien Japan und Deutschland überholt haben, also hinter den Vereinigten Staaten und China zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt herangereift sein. Schon jetzt werden hier mehr Autos verkauft als im bislang drittgrößten Absatzmarkt Japan. 

Der dritt- und der achtreichste Milliardär der Welt stammen aus Indien. In Amerika führen Inder bedeutende Technologiekonzerne. Fast eine Milliarde Inder sind derzeit im arbeitsfähigen Alter zwischen 16 und 66 Jahren. Die einstige Kolonialmacht Großbritannien wird von Premierminister Rishi Sunak, Sprössling einer Familie aus Britisch-Indien und praktizierender Hindu, regiert. 

Alphabet-Chef Sundar Pichai steht seit Jahren an der Spitze des Technologiekonzerns. Quelle: IMAGO Images / Hindustan Times

Der Subkontinent, den ich seit 40 Jahren von Trivandrum an der Südspitze bis zum Himalaya ausführlich bereist habe, hat seit dem Amtsantritt von Narendra Modi im Jahr 2014 und seiner Wiederwahl 2019 eine atemberaubende Karriere hingelegt und politisch an Statur und Stabilität gewonnen. Einer Wiederwahl Modis im April 2024 dürfte nichts entgegenstehen. Die zersplitterte Opposition von über einem Dutzend kleinerer Parteien ist zu uneinig und hat keinen Gegenkandidaten zu bieten.

Auch Raul Gandhi von der Kongresspartei kann es nicht an Charisma, Durchsetzungskraft und mit dem stetig länger werdenden Leistungsausweis eines Modi aufnehmen. Dieser hatte schon bei der Übernahme des G-20-Vorsitzes im November 2022 auf Bali vollmundig verkündet, dass seine Regierung die G-20 zum Motor eines globalen Wandels machen möchte. 

Indien profitiert von Chinas Problemen

Indien soll eine Art Brückenbauer zwischen den Welten werden und die Führung der unabhängigen, blockfreien Nationen (non aligned countries) übernehmen. Dabei profitiert Indien von den Problemen, die China derzeit plagen. Indiens Wirtschaft blüht. Bereits im vergangenen Jahr ist das Land zur fünfgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen und hat Großbritannien verdrängt. Gemessen an der Kaufkraft ist Indien bereits jetzt die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. 

Trotz dieser Entwicklung steht Indien jedoch wie im vergangenen Text beschrieben vor einer großen Herausforderung. Jeder zweite Einwohner ist jünger als 28 – und ausgerechnet bei dieser Altersgruppe liegt die Arbeitslosenrate bei knapp 44 Prozent. Die Staatsbahn in Indien veröffentlichte 2022 rund 35.000 Stellenanzeigen, worauf sich fast 12 Millionen Menschen beworben haben. 

Die Erschaffung eines riesigen Binnenmarkts

Helfen könnte der weitere energische Ausbau Erneuerbarer Energien. Das Land investiert Milliarden in den Ausbau von Solarkraft und ist führend bei der Nutzung von Wasserkraft als Energiequelle. Indien macht seine Hausaufgaben und ein riesiger Binnenmarkt entsteht. Bis Ende 2025 sollen rund 84.000 Kilometer Land- und Schnellstraßen fertiggestellt werden. 2017 wurde die größte Steuerreform seit der Unabhängigkeit Indiens vor 75 Jahren eingeführt. 

Auch die Privatisierungen kommen voran: Erst vor kurzem hat die indische Regierung die Fluggesellschaft Air India an die Tata Group verkauft. Ein echter „Gamechanger“ wäre das geplante Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU, das bis Ende 2023 endlich unterzeichnet werden soll.

Dieses Abkommen könnte entscheidende Handelsbarrieren abbauen und die Wirtschaftswelt geostrategisch neu sortieren. Eine „noch sehr westlich geprägte Weltordnung“ wird - laut dem indischen Außenminister Subrahmanyam Jaishankar und Premier Modi- durch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine in ihren Grundfesten erschüttert und durch eine Welt des „Multi-Alignment“ ersetzt. 

Siemens in Indien 

Die Bahnsparte von Siemens hat aus Indien den größten Lokomotivauftrag ihrer Geschichte erhalten. Siemens soll in den nächsten elf Jahren insgesamt 1.200 Elektroloks an die Bahngesellschaft Indian Railways liefern und dafür rund 3 Milliarden Euro bekommen. Teil des Deals ist zudem die Wartung und Instandhaltung der gelieferten Lokomotiven für 35 Jahre. Die Antriebe sollen in einem Werk von Siemens Mobility in Indien gefertigt werden. Die Montage erfolgt gemeinsam mit Mitarbeitern von Indian Railways im Bundesstaat Gujarat. Auch bei der Wartung ist eine Zusammenarbeit geplant.

Indien hat eines der größten Schienennetze der Welt und zählt laut Siemens zu den am schnellsten wachsenden Bahnmärkten. Indien will die Frachtkapazitäten der Schiene verdoppeln und schon bald das größte elektrifizierte Schienennetz der Welt errichten. 

Vande Bharat Express im Bahnhof von Haora: Indien setzt auf den Ausbau des Zugverkehrs
Vande Bharat Express im Bahnhof von Haora: Indien setzt auf den Ausbau des Zugverkehrs © Imago Images / NurPhoto

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Reibungen im lukrativen Bankensektor  

Für europäische Banken beginnt in Indien jedoch ein Jahr der Unsicherheit. Hintergrund ist ein Konflikt zwischen der Europäischen Union und den indischen Regulierungsbehörden. Indien wird immer selbstbewusster, doch die europäische Wertpapieraufsicht Esma wünscht sich mit Blick auf Indien-Transaktionen größere Aufsichts- und Prüfungsbefugnisse – was Indien ablehnt.

Als Folge des Streits will die EU sechs große indische Clearinghäuser ab dem 30. April nicht mehr anerkennen. Zu den Leidtragenden der Auseinandersetzung zählen auch die Deutsche Bank, die BNP Paribas und die Société Générale, ihnen drohen in Indien deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen für Risikopositionen gegenüber den von der EU künftig nicht mehr anerkannten zentralen Clearinghäusern (CCP). 

Eskalation zum unglücklichen Zeitpunkt

Für Banken ist Indien ein zunehmend lukrativer Markt, 460 Millionen Euro Ergebnis vor Steuern hat das Indien-Geschäft 2022 allein der Deutschen Bank gebracht. Im abgelaufenen Börsenjahr war der indische Bankensektor sehr attraktiv. Beobachter erwarten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Banken im Indiengeschäft sinkt, sollten sie tatsächlich höhere Eigenkapitalanforderungen erfüllen müssen. Die Kapitalkosten könnten um mehr als das Zwölffache ansteigen, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen europäischen Bankmanager. 

Das Thema eskaliert zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Finanzbranche Indiens eigentlich als Hoffnungsträger in einem schwierigen Umfeld darbietet. Solide makroökonomische Fundamentaldaten und gesunde Bilanzen des Finanzsektors lassen das Land robust erscheinen.

Die faulen Kredite, die jahrelang auf dem Finanzsektor des Schwellenlandes lasteten, sind kaum noch ein Problem. Ihr Anteil am gesamten Kreditvolumen ist auf den niedrigsten Stand seit sieben Jahren gesunken. Auch die Gewinne der Banken machten jüngst einen kräftigen Sprung: Im dritten Quartal verzeichnete die Branche knapp 60 Prozent höhere Profite als im Vorjahr. Die starke Zunahme bei der Kreditvergabe dürfte wegen Indiens guter Konjunktur anhalten.  

Indien setzt auf Wasserstoff im großen Stil

Die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens will auch grüner und unabhängiger von Energieimporten werden und zugleich die Welt mit grünem Wasserstoff versorgen. Schon 2030 wolle Indien „mindestens ein Zehntel des weltweiten Bedarfs an grünem Wasserstoff decken“, sagte ein Regierungssprecher.

Das indische Kabinett hat für Wasserstoffprojekte nun 2,25 Milliarden Euro freigegeben. Bis 2030 will Indien mit einem Investment von 100 Milliarden Euro eine Kapazität von 500 Gigawatt für nicht fossile Energie geschaffen haben. 

Nach Schätzungen des Hydrogen Councils, dem 150 Unternehmen des Energie- und Rohstoffsektors und Berater von McKinsey angehören, wird die Nachfrage nach grünem Wasserstoff in den vier großen asiatischen Ländern China, Japan, Indien und Südkorea bis zum Jahr 2050 auf rund 285 Millionen Tonnen steigen, rund 43 Prozent der Weltnachfrage. Mehr als 300 Milliarden Dollar sollen bis 2030 in neue Projekte fließen und rund 5 Millionen Tonnen Wasserstoff aus nicht fossiler Energie herstellen, wodurch 50 Millionen Tonnen Treibhausgas ersetzt werden. Vor einem knappen Jahr hatte Oil India die erste Produktion von grünem Wasserstoff auf dem Subkontinent in Assam aufgenommen. 

Der Vorstandsvorsitzende des Konglomerates Reliance Industries, Multimilliardär Mukesh Ambani, will zum Vorreiter des Trends werden und in den nächsten 15 Jahren 75 Milliarden Dollar für klimafreundliche Projekte ausgeben. Auch sein Konkurrent Gautam Adani, der drittreichste Mensch der Welt, hat angekündigt, 70 Milliarden Dollar in „grüne Energie“ stecken zu wollen. 

Green Asia 

Doch die Konkurrenz schläft nicht. Zumindest in Asien. Chinas Ölkonzern und BASF-Partner Sinopec arbeitet am Bau einer Anlage für grünen Wasserstoff im Volumen von 20.000 Tonnen jährlich. BP ist inzwischen der Ankeraktionär beim Asia Renewable Energy Hub in Australien, wo jährlich rund 1,6 Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs produziert werden sollen. Allein der Konzern BP will – wie auch Indien – rund 10 Prozent des Weltmarkts abdecken.

Der Rivale Chevron arbeitet mit der indonesischen Ölgesellschaft Pertamina und dem Singapurer Anlagenbauer Keppel an einer Anlage, die Erdwärme für die Herstellung grünen Wasserstoffs nutzen und bis zu 160.000 Tonnen jährlich produzieren will. 

Auch Mitsubishi hat die staatliche indonesische Ölgesellschaft als Partner gewählt. Der japanische Wettbewerber Mitsui & Co wiederum engagiert sich mit 28 Prozent bei einem Projekt der französischen Engie in Australien, um dort grünen Wasserstoff mit Sonnenkraft herzustellen. In Asien keimt Hoffnung, dass vor allem die Stahl- und die Automobilhersteller durch die neue Energieform ihre teils verheerenden Klimabilanzen verbessern können.

Pilnys Asien-Insights der vergangenen Wochen:

>> China und Japan vergreisen und ein junges Indien strahlt – oder etwa nicht?

>> Das RCEP-Abkommen ist der Gamechanger Asiens - wie Anleger davon profitieren

>> Ausblick auf 2023 – Asien in der Zeitenwende

>> Doppelwumms: Neues Wettrüsten und Zinswende in Japan

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