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Versicherungsvertrieb Wie sich Versicherer und Makler neu erfinden können

Zielgruppe Digitalkunde
Zielgruppe Digitalkunde: Laut Ingolf Putzbach, Co-Chef bei Beratungshaus Sum Cumo Sapiens, sind bei vielen Versicherern hierzulande für einen erfolgreichen Online-Vertrieb „massive Investitionen“ nötig. | Foto: Foto von cottonbro von Pexels

Die Versicherungswirtschaft und die Maklerschaft haben von der Politik nicht viel zu erwarten. Unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl wird es zu einer Neuordnung der Altersvorsorge kommen, die weniger auf die Privatwirtschaft setzen wird als heute.

Die private Krankenversicherung kann sich maximal von Legislatur- zu Legislaturperiode um Schadenbegrenzung bemühen. Auch bei der Regulierung der Provisionen wird die Restschuldversicherung nur der Vorbote sein. Ein Durchschlagen auch auf Courtagen in der Kompositversicherung ist zumindest nicht auszuschließen.

Je nach Ausrichtung des eigenen Geschäfts werden Makler von dieser Entwicklung in unterschiedlichem Maße betroffen sein. In jedem Fall wäre es falsch, sich nur an den politischen Rahmenbedingungen zu orientieren. Viel wichtiger ist es, die Dynamik richtig zu verstehen, die sich an der Kundenschnittstelle abspielt.

Neues Bewusstsein nach Pandemie

In den vergangenen Monaten haben wir in einem riesigen Feldversuch erleben müssen, wie ein Leben ohne persönliche Kontakte im Sinne eines physischen Aufeinandertreffens aufrechterhalten werden kann. Als Fazit lässt sich schon jetzt ziehen, dass viele Dinge überraschend gut funktioniert haben und sich auch nach der Pandemie erhalten werden.

Daraus ergeben sich große Potenziale für die gesellschaftliche Entwicklung. Familie und Beruf lassen sich auf Dauer besser vereinen und die Verkehrsströme in den Ballungsräumen können entzerrt werden.

Alle Bevölkerungsschichten erfasst

Die Zeiten sind endgültig vorbei, in denen Ladenöffnungszeiten den Konsumenten in irgendeiner Weise einschränken würden. Es gibt ein neues „anywhere-anyhow-anytime“-Bewusstsein, das schon jetzt auf fast alle Lebensbereiche übertragen wird und nach und nach alle Bevölkerungsschichten erfassen wird.

Längst vorbei sind die Tage, in denen man vermeintlich nur die jüngere Bevölkerung in den Großstädten mit Online-Angeboten erreichen konnte. Heute hat fast jeder Rentner Internetzugang. Amazon hat eine Reichweite von über 80 Prozent und fast 60 Prozent der deutschen Haushalte nutzen inzwischen Streaming-Dienste wir Netflix.

Und Tesla verkauft nicht nur Elektroautos, sondern im Grunde Softwareplattformen, die auch fahrzeugungebunden funktionieren. Darin besteht die eigentliche Revolution, die die gesamte Automobilwirtschaft verändern und auch vor dem Autohandel nicht halt machen wird.

Fehlende digitale Anpassungsbereitschaft

Die Versicherungsbranche redet sich gern ein, dass sie auf Dauer eine Sonderrolle einnehmen kann und von der allfälligen Disruption nicht betroffen sein wird.

Geschützt durch ein paar regulatorische Brandmauern weist man gern darauf hin, dass das Geschäft in seiner gesamten Bandbreite vom Privatkunden bis zum Industriekunden weiterhin im Wesentlichen über die gleichen Vertriebs- und Service-Prozesse läuft wie schon vor 27 Jahren. Damals, als Jeff Bezos seinen Online-Shop gegründet hat, der inzwischen eine 16 mal größere Marktkapitalisierung aufweist als die Allianz.

Technik auf Stand der Jahrtausendwende

Natürlich haben sich auch Versicherer und Makler mit dem Internet beschäftigt. Im Branchenvergleich stehen viele entwicklungstechnisch ungefähr auf dem Stand der Jahrtausendwende. Die fortschrittlichsten erreichen das Niveau von 2010.

Das bedeutet bezogen auf modernen E-Commerce die Fähigkeit, Produkte online zu verkaufen, Online-Selfservices anzubieten und in einzelnen Sparten eine teilautomatisierte Schadenbearbeitung zu ermöglichen.

Wachsende Ansprüche digitaler Kunden

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Wir würden nicht darauf wetten, dass man sich bei der Entwicklung zum Next-Level-Commerce viel Zeit lassen kann. Auch wenn Lemonade noch nicht Tesla ist und der große externe Disruptor noch nicht erkennbar ist, melden die Kunden ihre Ansprüche immer vernehmlicher an.

Getsafe verweist im Konsumentengeschäft auf mehr als 10 Prozent Marktanteil in der Altersgruppe bis 35 und auf der anderen Seite des Spektrums formuliert der Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft unmissverständliche Forderungen an Industrieversicherer und Makler.

Konsistente Nutzererfahrung bieten

Versicherer und Makler müssen endlich damit beginnen, die Kunden und deren sich schnell entwickelnde Bedürfnisse ernst zu nehmen. Eine Orientierung an „anywhere-anyhow-anytime“ ist dabei hilfreich.

Versicherer und ihre Vertriebspartner müssen zunächst einmal sicherstellen, dass sie Kunden unabhängig von einem Kanal oder Endgerät eine konsistente Nutzererfahrung bieten können. Es muss das Bewusstsein entstehen, dass die persönliche Interaktion stets nur ein Element eines grundsätzlich digitalisierten Prozesses ist.

Versicherungsschutz muss anpassbar sein

Auf der Produktseite erwarten Kunden inzwischen Modularität als Standard. Produkte müssen nach Kundenwunsch konfigurierbar und kombinierbar sein. Kein Kunde interessiert sich für Versicherungssparten.

Und schließlich muss auch Versicherungsschutz anpassbar sein. Das kann situativ auf Kundenwunsch der Fall sein und erfolgt im besten Fall sogar automatisch abhängig vom Kundenverhalten und seines Umfelds.

Risikogerechter Versicherungsschutz

Im Endeffekt läuft alles auf die Fähigkeit zur Personalisierung von Produkten und Services hinaus. Und diese wiederum setzt voraus, dass Versicherer und Makler es schaffen, mit den häufig bereits vorhandenen Kundendaten auch wirklich etwas anzufangen.

Und das ist nur der erste Schritt, denn schon jetzt sind immer mehr Geräte mit dem Internet verbunden, so dass die verfügbare Datenmenge exponentiell wachsen wird. Während Industrie 4.0 den deutschen produzierenden Mittelstand erreicht, sind deren Versicherer und Makler noch nicht einmal in der Lage, die bestehenden Daten zu aktualisieren und sie verstärkt für risikogerechten Versicherungsschutz einzusetzen.

Massive Investitionen nötig

Erforderlich ist jetzt eine echte Kraftanstrengung im Bereich Data and Analytics. Investitionen müssen sowohl in Human Resources als auch in neue Softwareplattformen getätigt werden. In beiden Bereichen konkurriert die Versicherungswirtschaft mit anderen Branchen. Sie muss sich öffnen, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Die Insurtechs bieten hier mehr als nur Inspiration. Mit ihrer Hilfe können sich Versicherer und Makler neu erfinden, wenn sie mutig neue Wege gehen und ganz bewusst auf neue Talente und Dienstleister setzen.


Über den Autor

Ingolf Putzbach, sum.cumo Sapiens
Ingolf Putzbach, sum.cumo Sapiens

Ingolf Putzbach ist seit Juli 2016 einer der beiden Geschäftsführer von Sum Cumo. Das Unternehmen berät Versicherer im deutschsprachigen Raum unter anderem zu Marketing und Technologie beim E-Commerce. Der 2010 gegründete Dienstleister gehörte zuvor zur Versicherungsgruppe die Bayerische, die derzeit zu seinen Kunden zählt. Im Januar vorigen Jahres wurde Sum Cumo von Sapiens übernommen, einem weltweit aktiven Anbieter von Software für die Versicherungswirtschaft.

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