Assenagon-Chefökonom Martin Hüfner Deutschland muss runter vom Abstellgleis
Keine Verschnaufpause
Das gesamtwirtschaftliche Wachstum ist zwar noch hoch. Das liegt aber allein an konjunkturzyklischen Faktoren sowie der expansiven Finanzpolitik. Der langfristige Wachstumstrend ist schon seit einiger Zeit nach unten gerichtet.
Nun könnte man sagen: Ist doch nicht so schlimm. Warum braucht man hohe Wachstumsraten, wenn die Menschen zufrieden sind? Auch eine Gesellschaft braucht mal Ruhephasen. Das Problem ist nur: Wir haben wegen der Zuwanderung und wegen vieler gesellschaftlicher Spannungen durch die Flüchtlinge ohnehin keine Ruhepause. Zudem sind wir nicht allein in der Welt. Rund um Deutschland sind Länder, die sich derzeit in einer ganz anderen Phase der Entwicklung befinden. Sie sind in der Eurokrise zu Reformen gezwungen wurden, die sich nun in höheren Wachstumsraten auswirken.
In der Grafik habe ich die Verhältnisse in Deutschland und Frankreich nach den Prognosen des IWFs gegenübergestellt. In Deutschland gehen die Wachstumsraten zurück.
Musterschüler Frankreich
In Frankreich steigen sie an. Frankreich erlebt derzeit Ähnliches wie Deutschland vor 15 Jahren. Es bricht alte Strukturen auf, zerstört die Macht der eingefahrenen Interessengruppen und legt damit neue Wachstumskräfte frei. In diesem Jahr könnte es sein, das Frankreich in Sachen wirtschaftlicher Dynamik an der Bundesrepublik vorbeizieht.
Frankreich ist kein Einzelfall. In Spanien und Irland sind die Wachstumsraten aus ähnlichen Gründen schon vor ein paar Jahren hoch gegangen. Es gibt inzwischen im Euroraum nur noch drei Länder, die eine geringere Dynamik als Deutschland haben: Belgien, Portugal und Italien. Alle anderen wachsen schneller, selbst Griechenland. Bei vielen stehen Reformen dahinter, die das Wachstum ankurbelten. Deutschland hat Reformen in anderen Ländern angestoßen (wenn man will, vielleicht sogar erzwungen). Es hat aber nichts getan, um selbst Reformen auf den Weg zu bringen und damit wettbewerbsfähiger zu werden.
Jetzt kommt die Quittung. Deutschland fällt im innergemeinschaftlichen Machtgefüge zurück. Es wird im Euro bald nicht mehr das wirtschaftlich erfolgreichste Land sein. Das hat auch politische Folgen. Unabhängig von den Schwierigkeiten der Regierungsbildung wird die deutsche Kanzlerin nicht mehr die alleinige Führungsposition im Euro einnehmen. Sie wird die deutschen Vorstellungen von der Zukunft der Union nicht mehr so einfach durchsetzen können wie bisher. Die Gemeinschaft insgesamt wird sich ändern. Sie wird weniger auf Austerität und fiskalpolitische Solidität setzen. Statt Disziplin wird Flexibilität eine größere Rolle spielen. Die Einflussmöglichkeiten der nationalen Parlamente (vor allem des deutschen Bundestages) werden geringer.
Für den Anleger
Die Börsen stehen derzeit im Bann der Turbulenzen durch die hohe Volatilität. Sie interessieren sich im Augenblick nicht für die Veränderung der Machtpositionen in Europa. Das wird sich aber ändern. Wenn es wieder normalere Verhältnisse gibt, werden die Börsen der Reformländer interessanter. Sie werden sich vermutlich relativ besser entwickeln und manchen Rückstand der letzten Jahre aufholen. Schauen Sie sich diese Länder an. Vor allem Frankreich müsste besser performen. Negativ ist die zu erwartende Aufweichung der Disziplin in der Währungsunion. Das müsste den Euro tendenziell schwächen. Es wird sich aber erst später auf die Devisenmärkte auswirken.