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Ostrum-Marktstratege Inflation besser nicht auf die leichte Schulter nehmen

Obst und Gemüse am Wiener Naschmarkt
Obst und Gemüse am Wiener Naschmarkt: Die Preise steigen in der Eurozone kräftig. | Foto: Imago Images / Chromorange

Das Gespenst der Inflation ist zurück. Nach Jahren negativer Teuerungsraten stieg die Inflation in der Eurozone seit Beginn des Jahres kontinuierlich an. Im August lag sie bei 3 Prozent. Noch stärker war der Preisauftrieb in den USA. Im März machte dort die Inflation einen kräftigen Sprung nach oben: von 2,6 auf 4,2 Prozent. Und im August lag die Teuerungsrate bei 5,3 Prozent und damit deutlich über dem Inflationsziel der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), die mittelfristig 2 Prozent anstrebt. Alles halb so wild, so die gängige Meinung vieler Marktteilnehmer. Bei der aktuellen Entwicklung der Preise handele es sich um ein vorübergehendes Phänomen. Der Spuk werde schon im kommenden Jahr weitestgehend wieder vorbei sein.

Ist dem wirklich so? Zwar gibt es gute Gründe, die das Narrativ von der vorübergehenden Inflationsdynamik stützen. Allerdings können die Gegenargumente nicht einfach ausgeblendet werden. Denn es spricht gleichwohl einiges dafür, dass der derzeitige Anstieg der Inflation nicht einfach ein Nebenprodukt der Wiedereröffnung der von der Pandemie am stärksten betroffenen Sektoren ist. Ein genauer Blick nämlich zeigt, dass sich von extremen Preisausschlägen abgesehen unter der Oberfläche ein breit angelegter Inflationsdruck aufbaut. Das Beige Book und viele andere Erhebungen auf der Angebotsseite weisen seit einiger Zeit schon unter anderem auf verschärfte Engpässe bei einer Reihe von Rohstoffen, auf höhere Inputpreise, Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt sowie auf längere Vorlaufzeiten hin.

Es mag sein, dass sich die Inflation bei hochinflationären Gütern wie Energie, Flugtickets und Hotelübernachtungen abschwächen könnte. Aber anhaltende Probleme in der Lieferkette, wie etwa in der Automobilindustrie, bestehen fort und könnten eine weitere Runde von Preiserhöhungen auslösen. Vor diesem Hintergrund sind die extremen Preiserhöhungen möglicherweise nur ein Symptom für eine breit angelegte Angebotsverknappung.

Preistreiber Klimawandel

Der weltweit betriebene, klimaneutrale Umbau der Wirtschaft wird sich sowohl für private Haushalte als auch für energieintensive Betriebe voraussichtlich mit höheren Energiepreisen bemerkbar machen. Die stärkere Bepreisung von CO2-Freisetzung soll nach den Plänen der Politik zwar an anderer Stelle oftmals durch einen Ausgleich aufgefangen werden, dürfte das Preisniveau insgesamt aber dennoch belasten. Dies liegt in der Natur der Sache, wenn der CO2-Preis eine spürbare Lenkungswirkung entfalten soll. Neben diesen transistorischen Inflationsrisiken, die sich aus dem klimaneutralen Umbau ergeben, könnte sich auch das physische Schadensrisiko des Klimawandels, negativ auf die Inflation auswirken.

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Diesen Zusammenhang hatten zuletzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und die SOAS University of London untersucht. Ergebnis: Es konnte eine signifikante Korrelation zwischen den Ex­tremwetterereignissen und der Veränderung der Inflationsrate nachgewiesen werden. Allerdings mussten die Schäden etwa bei Ernte oder Infrastruktur recht hoch sein, damit die Folgen deutlich wahrnehmbar waren. Der Umbau führt auch dazu, dass in der Industrie zahlreiche Arbeitsplätze unter die Räder kommen dürften. Es werden neue Qualifikationen benötigt, wobei die Gefahr eines Missverhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt wächst. Die Ersetzung des derzeitigen Kapitalstocks durch einen neuen, weniger energieintensiven ist ein äußerst komplexes Vorhaben, bei dem es keine Garantie für Produktivitätsgewinne gibt, die als Ausgleich für die Verlierer dieses Übergangs genutzt werden könnten.

Die Elektrifizierung der Automobilindustrie und die Entwicklung der erneuerbaren Energieerzeugung führen zudem zu einem sehr starken Anstieg des Verbrauchs von Rohstoffen (Kupfer, Aluminium, Mangan, Lithium und so weiter). Die Kupfernachfrage wird bis 2040 voraussichtlich um 150 Prozent steigen, der Lithiumverbrauch könnte sich um das Zwanzigfache erhöhen. Es ist also keineswegs sicher, dass das nächste Vierteljahrhundert der globalen Deflationsentwicklung der letzten 25 Jahre ähneln wird.

Trotz dieser Risiken hält insbesondere die Fed scheinbar unbeirrt an ihrem 2-Prozent-Ziel fest. Und das, obwohl die längerfristigen Inflationserwartungen des Marktes inzwischen deutlich nach oben gegangen sind. Derzeit liegt die durchschnittliche Inflationserwartung für die kommenden fünf bis zehn Jahre bei 3,9 Prozent (August), dem höchsten Wert seit dreißig Jahren. Obwohl die marktbasierten Erwartungen durch die lockere Geldpolitik nach unten verzerrt werden, deuten die jüngsten Erhebungen darauf hin, dass die Inflationserwartungen nicht mehr verankert sind. Der Medianwert liegt mit 2,9 Prozent zwar niedriger, entspricht aber auch nicht dem von der Zentralbank angestrebten Niveau. Das sollte die Währungshüter eigentlich zu einer Reaktion veranlassen.

Über den Autor: Axel Botte ist Marktstratege bei Ostrum Asset Management, ehemals Natixis Asset Management.

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