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Assekurata: „Zinsanstieg hat für Lebensversicherer gravierende Folgen“
Die deutschen Lebensversicherer werden langfristig von den gestiegenen Zinsen profitieren, erwarten die Branchenanalysten der Kölner Rating-Agentur Assekurata in einer aktuellen Studie. Denn die Solvenzquoten seien vielfach sehr hoch und die kontinuierlichen Rückflüsse aus der Zinszusatzreserve (ZZR) stützten die Ertragslage. Auf der anderen Seite werde die Assekuranz durch hohe stille Lasten in ihren handelsrechtlichen Bilanzen belastet. Und der getrübte konjunkturelle Ausblick senke die Chancen auf ein brummendes Neugeschäft, insbesondere mit Blick auf das Geschäft gegen Einmalbeitrag.
EZB hat Zinswende im Euroraum eingeläutet

Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) im vergangenen Jahr die Zinswende im Euroraum mit mehreren Leitzinsanhebungen eingeläutet hatte, liegt dieser mittlerweile bei 4 Prozent. „Da die Inflationsrate noch immer deutlich über dem 2-Prozent-Ziel der Notenbank liegt, erwarten wir, dass der Leitzins in den kommenden Monaten mindestens auf dem aktuellen Niveau bleiben wird“, sagt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata. „Die gestiegenen Zinsen und die hohe Inflation haben dabei erhebliche Auswirkungen auf die Bilanz- und Geschäftssituation der Lebensversicherer.“
So verzeichneten die Unternehmen bereits erste Rückflüsse aus der seit 2011 aufgebauten ZZR, der hohe Garantien im Niedrigzinsumfeld bilanziell absicherte. Laut Assekurata wurden 2022 branchenweit ZZR-Mittel von 4 Milliarden Euro frei, sodass der Gesamtbestand auf nunmehr 92 Milliarden Euro geschmolzen ist. „Die hohen Zinsen führen in Kombination mit der gesetzlich vorgegebenen Berechnungsmethodik zu einem unveränderten Referenzzins für die ZZR“, erklärt Heermann. „Dies hat zur Folge, dass die Lebensversicherer ihren ZZR-Bestand auch in den kommenden Jahren weiter abbauen können.“

Die Assekurata-Analysten haben ermittelt, dass der Referenzzins bis zum Geschäftsjahr 2025 bei 1,57 Prozent bleiben wird, wenn sich das Zinsniveau stabil hält. Das würde dazu führen, dass die Lebensversicherer jährliche Rückflüsse von insgesamt 4 bis 5 Milliarden Euro aus der ZZR verzeichnen. Sollten die Marktzinsen auch nach 2025 weiter hoch bleiben, würde der Referenzzins ab 2026 ebenfalls ansteigen und sich der Abbau der ZZR noch schneller vollziehen. Von den steigenden Zinsen profitieren viele Lebensversicherer laut Assekurata aber nicht nur auf Seiten der ZZR, sondern auch mit Blick auf Solvency II.
Die langanhaltenden Niedrigzinsen hatten zuvor die Solvenzquoten einiger Lebensversicherer stark belastet, was insbesondere auf die hohen Garantien älterer Berstandsverträge zurückzuführen sei. „In der jetzigen Situation tritt jedoch der gegenläufige Effekt ein: Die Solvenzquoten sind 2022 enorm angestiegen und werden 2023 ihr hohes Niveau beibehalten“, sagt Heermann. „Unter dem Strich führt der Zinsanstieg dazu, dass sich unser Augenmerk im Rating von Lebensversicherern wieder stärker von Solvency II auf die HGB-Bilanz verlagert, wo der Einfluss der steigenden Zinsen auch belastend wirken kann.“
Stille Lasten belasten Versicherer-Bilanzen
Denn die Lebensversicherer investieren laut Assekurata derzeit noch etwa 70 Prozent ihrer Kapitalanlagen nach Marktwerten in festverzinslichen Anlagen. Um ihre Leistungsverpflichtungen dauerhaft sicherzustellen, hatten viele Gesellschaften in Niedrigzinszeiten Anleihen von hoher Qualität und mit langen Laufzeiten gekauft. „Die konservative Anlagepolitik der Branche führt in Zeiten steigender Zinsen zu erheblichen stillen Lasten in den Büchern der Lebensversicherer, sprich zu geringeren Marktwerten gegenüber den Buchwerten der festverzinslichen Kapitalanlagen“, erläutert Heermann.
Laut aktuellen Schätzungen der Assekurata-Studienautoren belaufen sich die stillen Lasten auf Branchenebene insgesamt auf etwas mehr als 100 Milliarden Euro. „Zwar sind die Lebensversicherer nicht verpflichtet, zinsinduzierte stille Lasten bilanziell abzuschreiben, jedoch mindert sich dadurch das Ertragspotenzial in ihren HGB-Bilanzen“, erklärt Heermann. „Dabei können die Gesellschaften auch frei werdende ZZR-Mittel verwenden, um stille Lasten abzubauen, allerdings wird die ZZR eben nicht auf einen Schlag abgebaut, sondern erstreckt sich noch bis in die 2030er Jahre.“

Die geänderte Marktsituation spiegele sich auch in einer aktuellen Assekurata-Umfrage unter Kapitalanlegern bei Versicherern wider. Im Vergleich zu den Vorjahren gaben die meisten Teilnehmer an, den Anteil an festverzinslichen Wertpapieren wieder stärker ausbauen zu wollen, während Substanzwerte tendenziell reduziert werden sollen. Damit reagieren die Asset Manager auf das höhere Zinsniveau in der Neuanlage. Gleichzeitig führen die Volatilität an den Aktienmärkten und der negative Effekt der hohen Zinsen auf Immobilieninvestments zu einer gewissen Zurückhaltung in diesen Assetklassen.
Wirtschaftliche Lage dämpft Neugeschäft
„Die Grundstimmung unter den Kapitalanlegern ist trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage allerdings positiver als im Vorjahr“, fasst Heermann die Ergebnisse der jüngsten Assekurata-Befragung zusammen. „Grund hierfür dürften die rentableren Neu- und Wiederanlagemöglichkeiten sein, die langfristig wieder bessere Ertragsperspektiven für die Lebensversicherung ermöglichen.“ Kurzfristig wirken die hohe Inflation und die unsichere konjunkturelle Lage negativ auf die Wachstumsaussichten der Anbieter. So sank der Prämienbestand aufgrund eines Einbruchs des Einmalbeitragsgeschäfts um 7 Prozent auf 92,7 Milliarden Euro.
Für das Jahr 2023 rechnet Assekurata mit einem erneuten Rückgang von ungefähr 3 Prozent. Denn die verfügbaren Einkommen der Menschen und Zinsprodukte der Banken werden eine attraktivere Alternative. „Eine niedrige Stornoquote beziehungsweise eine ausreichende Liquidität ist für viele Lebensversicherer in Zeiten von Bestandsrückgängen und stillen Lasten wichtig“, warnt Heermann. Um ihre Risiken zu senken, nutzten viele Lebensversicherer ein engmaschigeres Controlling, bauen zusätzliche Kapitalpolster auf oder setzen auf mehr liquide Investments.