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Portfoliomanager von Bantleon „Höchste Zeit, dass Growth-Anhänger die Value-Brille aufsetzen“

Standort von British American Tobacco in London
Standort von British American Tobacco in London: „Werte wie Glencore, Equinor und British American Tobacco sollten auch einer bevorstehenden Rezession trotzen können und sind auf aktuellen Bewertungsniveaus weiterhin vielversprechend“, so Scharping. | Foto: Imago Images / Stock&people

Für die meisten Asset-Klassen und Investmentstile ist 2022 ein anspruchsvolles Jahr. Mit etwas Weitblick sind aber am Aktienmarkthorizont trotz keimender Rezession auch Silberstreifen zu erkennen. Denn nach den jüngsten Bewertungsexzessen rund um nicht-profitable Technologiewerte, Kryptowährungen & Co. kommen viele Anleger wieder zur Vernunft. Statt Hoffnungen und Fantasien zählen bei der Bewertung von Unternehmen und deren Aktien wieder harte Fakten. Um diese neuen Chancen nutzen zu können, ist allerdings eine spezielle Handwerkskunst erforderlich, die während der Growth-Aktien-Völlerei der vergangenen Jahre nahezu ausgestorben ist: das Value Investing.

Der Grund für den Niedergang der Value-Zunft während der jüngsten Dekade, der seinen Höhepunkt in den Ausschweifungen nach der ersten Coronavirus-Welle fand, ist schnell erklärt: Während die Teslas und Carvanas dieser Welt stets zu neuen Höhenflügen ansetzten, entwickelten sich unterbewertete Aktien ohne die richtige „Story“ schlechter, weil die meisten Anleger sich auf die Kursraketen stürzten. Auch wenn die vergangenen zwei Jahre den Zenit markierten, war dies ein schon länger währender, schleichender Prozess. Das Resultat? Heute gibt es im Alter von unter 40 Jahren kaum noch professionelle Anleger, die in ihrem Job einen vollen Value-Zyklus erlebt haben. 
Die Outperformance von Value- gegenüber Growth-Aktien kennen die meisten nur vom Hörensagen. Viel kritischer ist jedoch, dass kaum noch jemand die klassische Value-Investing-Analyse beherrscht.

 

Viele Growth-Anleger erkennen ihren übermäßigen Optimismus

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Und wie einst nach der Dotcom-Blase dürfte sich mit dem Ende der Bewertungsexzesse und dem Ende der Negativzinsära das Blatt wenden. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen ohne mit der Wimper zu zucken das Hundertfache der in ein paar Jahren erwarteten Gewinne bezahlt wurde. Für diese Kehrtwende gibt es gute Gründe – allen voran stehen die zurückgekehrte Vernunft vieler Anleger und das Ende der Negativzinsen. Die strukturell bedingt höhere Inflation wird nämlich in den nächsten Jahren zu dauerhaft höheren Zinsen führen. Weil die Gewinne vieler Growth-Unternehmen jedoch weit in der Zukunft liegen, führen steigende Zinsen zu höheren Diskontsätzen und damit zu niedrigeren Bewertungen sowie Kursniveaus. 

Auf der anderen Seite spricht sich das Value-Comeback schnell herum. So hat ValueInvestorenlegende David Einhorn kürzlich in einem Bloomberg-Interview festgestellt: „Die meisten Value-Investoren wurden aus dem Business gedrängt. […] Niemand weiß mehr, was mit Unternehmen eigentlich passiert. […] Niemand weiß, was etwas wert ist.“ Einhorns Aussage ist zwar zugespitzt, aber grundsätzlich richtig. Als Value-Investor fühlt man sich heutzutage durchaus einsam. Wer sich mit den Folgen dieser Entwicklung beschäftigt, sollte zunächst die beiden gängigen Definitionen von Value-Investments kennen:

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Erstens gibt es die in den 1930er Jahren populär gewordene Benjamin-Graham-Version, bei der eine sorgfältige Bilanz- und Unternehmensanalyse durchgeführt wird, um festzustellen, ob es bei der Bewertung eine Sicherheitsmarge (Margin of Safety) gibt, selbst wenn sich der Kurs einer günstig bewerteten Aktie wider Erwarten nicht erholt. Verfechter dieser Handwerkskunst als Investmentstil sind zum Beispiel Joel Greenblatt, Walter Schloss und auch Warren Buffett (zumindest bevor Berkshire Hathaway zu groß wurde, um dies in Reinform zu praktizieren).

Zweitens gibt es die „Fama & French“-Version, bekannt durch die Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Eugene Fama und Kenneth French, die empirisch nachgewiesen haben, dass Aktien, die nach ihrem Kurs-Buchwert-Verhältnis billig waren, im Laufe der Zeit dazu neigen, den breiten Aktienmarkt zu übertreffen

In der Praxis bevorzugen klassische Benjamin-Graham-Value-Investoren konzentrierte, aktiv gemanagte Fonds, während „Fama & French“-Value-Investoren zu breit diversifizierten, automatisierten Faktor-Portfolios neigen. Der erste Stil ist eine Kombination aus Investmentphilosophie und analytischer Arbeitsweise, der zweite eine quantitative Zerlegung, die mit festen Annahmen arbeitet. Wenn wir vom Value Investing sprechen, soll das klassische Value Investing gemeint sein, also die Investmentphilosophie des jungen Warren Buffett, einst ja selbst Schüler von Benjamin Graham und Walter Schloss. 

Tiefe Fehlbewertungen bei Value-Aktien

Sucht man nach den verbliebenen fundamentalen Value-Investoren, so wird man enttäuscht: Etliche professionelle Value-Anhänger haben in den vergangenen Jahren diesen Investmentstil aufgegeben. Folglich analysieren nur noch wenige Investoren Unternehmen akribisch fundamental, was in den vergangenen Jahren zu länger andauernden und sich vertiefenden Fehlbewertungen geführt hat. Unter dem Strich ergibt sich für Value-Investoren hier eine Jahrhundertchance.

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