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Mario Draghis letzte EZB-Sitzung „In schwierigen Zeiten einen guten Job gemacht“

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Carsten Mumm, Chefvolkswirt, Privatbank Donner & Reuschel

Draghi verteidigte die bisherige EZB-Geldpolitik mit dem Hinweis auf deren – nach Meinung der EZB – konjunkturfördernde Wirkung und unterstrich, dass man sich durchgängig innerhalb des Mandates der Notenbank bewegte habe. Auf die Frage nach dem steigenden politischen Druck auf Notenbanken antwortete Draghi mit dem Verweis auf deren nach wie vor bestehende Unabhängigkeit. Die zentrale Herausforderung der künftigen EZB-Präsidentin ist nun, den zunehmenden Gegenwind in Gesellschaft und Politik zu stoppen. Derzeit steht die EZB-Geldpolitik vor allem in Deutschland erheblich in der öffentlichen Kritik und das sogar unter Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten, die sich ansonsten eher wenig um geldpolitische Entwicklungen kümmern. Die positive Anerkennung der EZB-Tätigkeit ist aber eines der wichtigsten Pfeiler für das Vertrauen in den Euro an sich. Um dieses nicht noch stärker zu unterhöhlen, ist ein „weiter so“ – also eine langfristige Fortsetzung der derzeitigen Negativzinspolitik – für die EZB keine Option. Vielmehr muss sie auf verschiedenste Weise in die Offensive gehen. Sollte es der EZB nicht gelingen, wieder ein hohes Akzeptanzniveau zu erreichen, könnte letztlich sogar die Unabhängigkeit der Notenbank infrage stehen.

Friedrich Heinemann, Leiter für „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" am ZEW Mannheim

Mit der Amtsübergabe von Mario Draghi an Christine Lagarde beginnt nun eine Denkpause mit einer Phase der geldpolitischen Passivität. Nach dem kontroversen September-Paket mit Zinssenkung und Wiederaufnahme der Wertpapierkäufe wird sich Christine Lagarde zunächst darauf konzentrieren, die Zerstrittenheit im EZB-Rat aus der Schlussphase Mario Draghis aufzuarbeiten. Sie weiß, dass solch schwere Konflikte, die offenbar weit in das fachliche Personal der EZB hineinreichen, letztlich die Akzeptanz einer unabhängigen Zentralbank untergraben.

Dennoch sind in den kommenden Monaten wichtige geldpolitische Weichenstellungen zu erwarten: Erstens wird Christine Lagarde einen Prozess zur Überprüfung der geldpolitischen Strategie einleiten. Dabei geht es um nicht weniger als die mögliche Neuformulierung des Inflationsziels. Und zweitens muss die EZB den Märkten glaubwürdige Ideen präsentieren, wo der angeblich existierende geldpolitische Spielraum für weitere Lockerungen noch besteht. Konkret wird es dabei auch um die Frage gehen, ob die EZB wie die Bank of Japan Aktienkäufe in ihren Instrumentenkasten aufnimmt.

Otmar Lang, Chefvolkswirt, Targobank

Man darf gespannt sein, wie Draghis Amtszeit historisch bewertet wird – über die Nachhaltigkeit seines geldpolitischen Erbes kann man sicherlich trefflich streiten. Klar ist auf jeden Fall, dass er den Handlungsspielraum seiner Nachfolgerin maximal eng gestaltet hat.

Eine Zins-Entscheidung wurde in Frankfurt heute nicht getroffen – wichtiger ist jedoch auch, was sich hinter den Kulissen des EZB-Rates abspielt. Dessen Mitglieder hatten zuletzt in nie dagewesener Deutlichkeit gegen die jüngsten Entscheidungen, insbesondere das neue Anleihekaufprogramm, opponiert. Die Kritik am EZB-Chef kommt aus Ländern, die gemeinsam 60 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung und rund 52 Prozent der Bevölkerung hinter sich vereinen.

Trotz ihrer ausgewiesenen Fähigkeit zur Moderation wird auch Christine Lagarde diesen eisigen Wind zu spüren bekommen. Sie liegt mit Draghi geldpolitisch auf einer Wellenlänge und wird sich daher schwertun, die Wogen zu glätten.

Es sei denn, die Konjunktur kommt ihr zu Hilfe: Möglicherweise könnte sich bereits zum Ende des Jahres eine Belebung abzeichnen. Vorausgesetzt, die Entspannung bei den beiden größten Unsicherheitsfaktoren für die Weltwirtschaft, dem Handelskrieg und dem Brexit, setzt sich fort: Dann wäre auch eine anziehende Investitionsbereitschaft vor dem Hintergrund einer ungebrochen starken Konsumneigung nicht auszuschließen. Flankiert würde diese positive Gemengelage zusätzlich von extrem niedrigen Leitzinsen weltweit und gedrückten Rohstoffpreisen. In einem solchen Umfeld sollte es dann nicht verwundern, wenn die Notenbanker spätestens im nächsten Frühjahr wieder einvernehmlich über Zinserhöhungen sprechen anstatt kontrovers über Anleihekaufprogramme zu diskutieren.

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