Martin Hüfner beruhigt die Pferde Vom Sinn und Unsinn des Produktionspotenzials
Das zweite ist: Wenn das Wachstum des realen BIPs in diesem Jahr tatsächlich nur noch 1,0 Prozent betragen sollte (wie die meisten Prognosen annehmen), dann ist das kein schlechtes Ergebnis. Es besagt vor allem nicht, dass wir uns in einer Rezession befinden. Was wir haben, ist Vollbeschäftigung. Es wird weitgehend so viel produziert, wie tatsächlich möglich ist.
Wir sollten uns daher nicht schlecht reden und gleich auf einen bevorstehenden Crash einstellen. Vielmehr liegt das niedrige Wachstum daran, dass es in Deutschland derzeit zu wenig Arbeit, Kapital und technisches Wissen gibt. In jedem Fall kann man aus der geringeren Wachstumsrate in diesem Jahr nicht ablesen, dass wir vor einem kräftigen Abschwung stehen.
Natürlich ist nicht auszuschließen, dass es in den kommenden Monaten weiter nach unten geht. Das Wachstum hat sich zuletzt stark abgeschwächt. Niemand weiß, ob sich das fortsetzen wird. Wenn das der Fall sein sollte, kommen wir wirklich in Schwierigkeiten. Aber im Augenblick ist das noch Spekulation.
Nun sehen viele das Produktionspotenzial als die Obergrenze dessen an, was eine Wirtschaft herstellen kann. Mehr geht nicht. Das ist aber nicht korrekt. Die deutschen Unternehmen könnten schon schneller wachsen. Dazu bräuchte es auch nicht mehr Nachfrage durch höhere Löhne, finanzpolitische Defizite oder niedrigere Zinsen. Mehr Wachstum bekommen wir nur, wenn wir das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft erweitern.
Das erfordert erstens mehr Arbeit. Die vorhandenen Arbeitnehmer müssten mehr arbeiten oder wir brauchen zusätzliche Arbeitskräfte. Es muss also mehr Zuwanderung geben. Es müssen mehr Frauen in den Erwerbsprozess eingegliedert werden. Darüber hinaus muss man das Rentenzugangsalter nicht senken, sondern erhöhen. An allen drei Fronten werden derzeit Fortschritte erzielt.
Es erfordert zweitens mehr Kapital. Derzeit reichen die Investitionen in Deutschland in vielen Fällen nicht aus, um die Abschreibungen auf den existierenden Kapitalstock zu ersetzen. Mehr Kapital wird benötigt, sowohl in den Unternehmen als auch in der öffentlichen Infrastruktur, also bei Straßen, Brücken, aber auch bei Schulen, Universitäten und anderen öffentlichen Aufgaben.
Es erfordert drittens, dass die Produktivität des Faktoreinsatzes durch mehr technischen Fortschritt erhöht wird. Das Wachstum der Produktivität ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Inzwischen liegt es unter 1,0 Prozent p. a. Wie soll das gesamtwirtschaftliche Wachstum unter diesen Umständen sehr viel größer sein.
Für den Anleger
Lassen Sie sich von den schlechten Konjunkturprognosen nicht ins Bockshorn jagen. Natürlich sind eine Rezession und ein Crash an den Märkten nicht auszuschließen. Aber im Augenblick deuten die Fakten nicht darauf hin. Die Wirtschaft befindet sich nach wie vor in Normaltemperatur.