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Andrew Wilson von Goldman Sachs „Umkehr der Zinskurve bewirkt noch keine Rezession“

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Diese Fakoren im Blick behalten

In der gegenwärtigen Situation sind wir mit einer gegenläufigen Dynamik konfrontiert: Die Inflation ist gedämpft und die Zentralbanken verfolgen eine lockere Politik, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Weitere Faktoren wie signifikante Ungleichgewichte im Privatsektor müssen sich auch erst noch zeigen. Und auch insgesamt war dieser Zyklus insofern ungewöhnlich, als dass die lang anhaltend lockere Geldpolitik die niedrigen Zinsniveaus zementiert und die Form der Zinskurve beeinflusst hat. Deshalb kann sie nicht länger als verlässliches Rezessionssignal gedeutet werden.

Während ich davon ausgehe, dass sich die anhaltende Expansion nach der Krise – wenn auch langsamer – fortsetzen wird, gibt es zwei Faktoren, die man im Auge behalten sollte:

Der erste ist die erhöhte politische Unsicherheit. Unsichere Handelsbeziehungen wirken sich negativ auf die Anlegerstimmung und die realwirtschaftliche Aktivität aus. Noch wird das Wirtschaftswachstum durch das Arbeitsplatzwachstum gestärkt. Das stützt wiederum das Konsumverhalten der Haushalte. Eine strukturelle Verschiebung hin zum vermehrten Konsum von Dienstleistungen hat diesen Sektor als Ganzen gestärkt und Arbeitsplätze geschaffen. Schließlich ist der Dienstleistungsbereich per se sehr personalintensiv. Wenn aber gleichzeitig die globale Produktionsaktivität zurückgeht, besteht das Risiko, dass dies auf den Dienstleistungssektor übergreift. Die Zeit der stabilen Beschäftigungszuwächse wäre vorbei.

Der zweite Faktor, der den Ausblick trübt, sind die Grenzen der Geldpolitik. Auch wenn dieser Zyklus gezeigt hat, dass die untere Grenze der Leitzinsen nicht bei null liegt, finde ich es schwierig, mir vorzustellen, die Zinsen würden noch weiter in den negativen Bereich abrutschen. Wir werden einen Wendepunkt erreichen, an dem die negativen Folgen der Negativzinsen die möglichen positiven Effekte bei weitem überwiegen. Eine Folge ist die geschwächte Rentabilität der Banken, die die Kreditvergabe belastet. Zudem kommt es zu Ungleichgewichten im Finanzsektor, indem die expansive Geldpolitik Vermögenswerte in die Höhe treibt, aber nicht die Realwirtschaft stärkt. Diese Entwicklung wird zudem durch Anleihekäufe der Zentralbanken verstärkt.

Keine Angst vor Zinspapieren

Auch die Bargeldhortung ist riskant, insbesondere dann, wenn Banken die Negativzinsen an Privatkunden weitergeben. Natürlich wäre das in einer bargeldlosen Wirtschaft vermeidbar. Der digitale Zahlungsverkehr hat im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen. Aber die nahe Zukunft wird nicht völlig bargeldlos sein, sodass Zentralbanken noch niedrigere Leitzinsen beschließen könnten. Der Anteil des im Umlauf befindlichen Bargelds am BIP beläuft sich in den USA auf 8 Prozent und in Japan auf fast 20 Prozent. Länder wie Schweden oder Norwegen sind weniger bargeldintensiv – ihre Zentralbanken sind dadurch flexibler, was niedrigere Zinsen anbelangt. In Bezug auf geldpolitische Impulse muss ausgewogen agiert und die Fiskalpolitik eine stärkere Rolle einnehmen. Regierungen müssen aber vor allem dann in puncto fiskaler Expansion umsichtig und diszipliniert vorgehen, wenn ihre Wählerschaft der Sparmaßnahmen überdrüssig ist.

Noch nie dagewesene Zeiten erfordern nicht unbedingt noch nie dagewesene Maßnahmen von Anlegern. Negative Renditen sind ungewöhnlich, erfordern aber keine radikale Abkehr von festverzinslichen Anlagen. Zweifellos ist ein dynamischer Anlageansatz aber empfehlenswert. Die Inversion der Zinskurve könnte sich als Schaf im Wolfspelz erweisen und sollte daher nichtals Anlass interpretiert werden, Risiken abzubauen.


Über den Autor:
Andrew Wilson ist Chef für die Emea-Region (Europa, Mittlerer Osten, Afrika) bei Goldman Sachs Asset Management. Er leitet außerdem das Team für globale Renten und Liquiditätsmanagement.

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