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Wachtendorf-Kolumne Crash-Kurs mit Gerd Kommer: Rechnen oder beten?

Misstraut den Rechen-Operationen von Honorarberater Gerd Kommer
Misstraut den Rechen-Operationen von Honorarberater Gerd Kommer: DAS-INVESTMENT-Kolumnist Egon Wachtendorf. | Foto: Johannes Arlt

Wer ist schon gerne in einen Crash verwickelt? Das gilt an der Börse genauso wie auf der Autobahn oder im Flugverkehr. Kein Wunder also, dass die Furcht vor einem plötzlichen Kurseinbruch bei Anlegern mitunter Kurzschlussreaktionen auslöst. Oder sie um Aktien von vornherein einen großen Bogen schlagen lässt. Was schade ist, denn – Vorsicht, Binse – wie jede Krise birgt ein Börsencrash natürlich auch Chancen. Das war 1987 und 2000 nicht anders als 2007 oder ganz aktuell bei Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020.

Ein Thema, das jüngst auch Gerd Kommer beackerte. Wobei der derzeit wohl bekannteste Honorarberater der Nation in einem entsprechenden Blog-Beitrag ausdrücklich nicht darauf abzielt, dass Neueinsteiger nach einem allgemeinen Aktien-Absturz Qualitätstitel zu Schlussverkaufspreisen einkaufen können. Vielmehr geht es ihm darum aufzuzeigen, wie auch bereits investierte Anleger von einem solchen Szenario profitieren. Kommer beruft sich dabei auf den amerikanischen Finanzmarkt-Forscher William Bernstein: Der Erfinder des „Feigling-Portfolios“ soll junge Vorsorgesparer einmal ermutigt haben, auf die Knie zu fallen und für einen saftigen Crash zu beten – brächte dieser ihnen doch handfeste finanzielle Vorteile.

Alles andere als eine kuriose oder gar unseriöse Aussage, wie Kommer in einer Modellrechnung zu belegen versucht. Wer – so seine Kalkulation – 35 Jahre lang pro Jahr 1.000 Euro für den Ruhestand spart und diesen Betrag jedes Jahr um 4 Prozent erhöht, den bringt in einem relativ frühen Stadium des Sparprozesses selbst ein zwischenzeitlicher Einbruch von 60 Prozent nicht aus der Spur. Ganz einfach, weil ein solcher Crash auf eine vergleichsweise kleine Menge an bereits investiertem Kapital trifft. Durch den stetig steigenden Geldfluss ist jene Summe, die nach dem Einbruch von der irgendwann einsetzenden Erholung der Börsen profitiert, im Verhältnis dazu größer. Das wiederum treibt die Rendite nach oben: In Kommers Rechnung stehen nach 35 Jahren 344.000 Euro auf dem Investmentkonto, wenn die Börse im ersten Jahr einbricht und immerhin noch 329.000 Euro, wenn der Crash im Jahre 10 kommt. Ohne Crash sind es nur 293.000 Euro.

So weit, so schlüssig – bis hierhin gehe ich mit, was Prinzip und Tendenz betrifft. Der Rechenweg hingegen ist mir in höchstem Maße suspekt. Es beginnt schon damit, dass Kommer für die 35-jährige Sparphase eine durchschnittliche jährliche Rendite von 8 Prozent unterstellt. Warum? Weil der von ihm immer wieder gern für Analysen herangezogene Aktienindex MSCI World zwischen 1986 und 2020 in etwa diese Rendite abgeworfen hat. Doch ist das wirklich ein in Stein gemeißeltes Gesetz, das auch für den Zeitraum 2021 bis 2055 gilt?

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Wie realistisch ist zudem die Annahme, dass der Index sich nach dem 60-Prozent-Absturz innerhalb von vier Jahren komplett erholt? Könnte es nicht auch sieben Jahre dauern, wie nach dem spektakulären Dax-Absturz im Frühjahr 2000? Oder noch länger? Dann wäre die Aussage, selbst ein Crash im 31. Jahr des Sparprozesses würde im Vergleich zu einem mit dem Lineal gezogenen Kursverlauf noch einen Rendite-Vorteil von 0,3 Prozentpunkten pro Jahr ermöglichen, nicht zu halten.

Den letztgenannten Einwand greift Kommer sogar auf. Und löst das Problem denkbar pragmatisch: Er setzt die Stopplinie in einer zweiten Rechnung einfach nach Ende des 28. Jahres und weist für diesen Fall eine Mehrrendite von 0,5 Prozentpunkten pro Jahr aus. Wie jemand erahnen soll, ob für den von ihm genutzten 35-Jahres-Zeitraum nun die Vier- oder die Sieben-Jahres-Regel gilt, verrät er nicht.

All diesen methodischen Bedenken mag man entgegenhalten, dass die meisten Vorsorge-Sparer auch einen Crash auf der Zielgeraden problemlos verkraften könnten – niemand verbraucht das in den Jahrzehnten zuvor angesammelte Kapital auf einen Schlag. Sicher. Trotzdem bleibe ich dabei: Wer den Eindruck erweckt, dem künftigen Auf und Ab der Aktienbörsen mit dem internen Zinsfuß beikommen zu können, lässt die nötige Demut vor den Märkten vermissen und macht sich unnötig angreifbar. Da mögen die Grundannahmen noch so richtig und schlüssig sein.

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