Studio Talk „Bei Anleihen gibt es Chancen wie seit über zehn Jahren nicht mehr“
Herr Wang, Anleihen haben seit Jahresbeginn deutlich an Wert verloren. Womit hängt das zusammen?
Matthias Wang: Aus unserer Sicht lässt sich das als Ende der „großen Mäßigung“ zusammenfassen. Wir sind in ein neues Marktregime eingetreten, das durch höhere Volatilität der Makroökonomie und der Märkte sowie durch anhaltende Inflation gekennzeichnet ist. Im Schnelldurchlauf sind die Renditen der 5-jährigen deutschen Bundesanleihe bis heute auf um die 2 Prozent gestiegen. Hochwertige Euro-Investment-Grade-Anleihen rentieren inzwischen mit etwa 4 Prozent. Beides haben wir seit mehr als zehn Jahren nicht mehr erlebt. Und beides spricht für die Chancen, die sich Anlegern bei Anleihen in Zukunft bieten.
Was bedeutet das neue Umfeld für ETFs mit einer Ausrichtung auf Zinsprodukte?
Wang: Anleihen-ETFs wurden in zahlreichen Stressszenarien getestet und haben bewiesen, dass sie in volatilen Märkten Preisfindung und Zugang zu Liquidität bieten. Das trägt dazu bei, dass Anleger Anleihen-ETFs aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit, Liquidität und Effizienz schätzen. Auch die Möglichkeit, mit ihnen Anleihenportfolios schnell zu handeln, ist ein Pluspunkt. Wir befinden uns also an einem Wendepunkt für Anleihen-ETFs. Denn wir erleben eine Phase der Neuausrichtung der Vermögensallokation, wobei insbesondere Investment-Grade-Anleihen in den Fokus rücken.
Herr Meyer, wie gehen die Indexanbieter mit dem Re-Risking im neuen Marktumfeld um?
Sebastian Meyer: Der Fokus bei neuen Indizes liegt ganz klar im kurzlaufenden Bereich. Das umfasst Festzinsanleihen bis zu fünf Jahren und Floater. Wir sehen Interesse für solche Indizes in allen Hauptwährungen, wie EUR, USD und GBP. Das überrascht nicht, da Anleihemärkte rund um den Globus von der Zinsnormalisierung betroffen sind.
Welche Möglichkeiten gibt es für Indexinvestments, auch in Kombination mit aktiven Investments?
Meyer: Wir sehen Interesse im ESG-Bereich, für klimafokussierte Indizes und andere thematische Indizes. Hier würde ich zum Beispiel den iBoxx MSCI ESG USD Asia ex-Japan High Yield Capped TCA sowie den iBoxx MSCI EUR High Yield Paris Aligned Capped Index nennen.
Wang: Bei den Multi-Asset-Strategien von BlackRock, die eine Mischung aus aktiven und indexierten Anlagen darstellen, beginnen wir mit einem Indexanteil von 50 Prozent. Tatsächlich zeigen unsere Untersuchungen, dass es für Anleger gleich mehrere wichtige Gründe gibt, über Indexstrategien nachzudenken. Erstens können bis zu 90 Prozent der Renditen einer Anlageklasse durch Indexierung erzielt werden. Zudem stellen wir fest, dass Anleger angesichts der makroökonomischen Volatilität ihre strategischen Allokationen häufiger anpassen müssen. Anleihen-ETFs sind ein wichtiges Instrument, um flexibel handeln zu können.
Wie sollten effiziente, zukunftssichere Indexkonstruktionen jetzt aufgebaut sein?
Meyer: Bei Indexdesign und Methodik achten wir stark auf Liquidität, Transparenz und nicht zuletzt auf einfache und klar nachvollziehbare Regeln. Vor der Entwicklung eines neuen Index erstellen wir verschiedene Simulationen. Wir schauen uns die historische Performance an und minimieren die Transaktionskosten. Anschließend wird der Index gebaut und publiziert.
Herr Wang, welche Rolle spielen inflationsgeschützte Anleihen und Unternehmensanleihen in der neuen Marktphase?
Wang: Anleger haben heute mehr Möglichkeiten als je zuvor, über indexierte Strategien Zugang zu verschiedenen Arten von Anleihen in Bezug auf Währungen, Laufzeiten, Regionen und Sektoren zu erhalten. Bei der Frage, welche Rolle diese Anleihen spielen, denken wir sowohl an die strategische und längerfristige als auch an die taktische Positionierung. Bei Staatsanleihen bevorzugt das BlackRock Investment Institute inflationsgebundene Anleihen, insbesondere europäische. Innerhalb der Unternehmensanleihen können Investment-Grade-Anleihen für Anleger einen interessanten Wert darstellen. Wir halten die Bewertungen mit Blick auf die Gesamtrendite und die Renditedifferenz gegenüber Staatsanleihen für attraktiv. Die Kuponerträge sind so hoch wie seit etwa einem Jahrzehnt nicht mehr.
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Nutzung von Informationsanbietern zugenommen und das Asset Management verändert. Kritiker sagen, dass Indexanbieter die Bewertungen von Vermögenswerten und die Nachfrage der Anleger aufblähen. Ist das ein Grund zur Besorgnis?
Meyer: Die Mehrheit unserer Indizes ist marktgewichtet. Das heißt, sie repräsentieren den tatsächlichen Markt und sind dadurch von Natur aus unvoreingenommen. In diesem Zusammenhang kann ich die Kritik einer aufgeblähten Nachfrage nicht nachvollziehen, weil wir hier von einem marktneutralen Ansatz sprechen. Es gibt eine kleine Zahl von thematischen Indizes, die sich auf bestimmte Marktnischen konzentrieren, wie zum Beispiel den iBoxx Global Green, Social and Sustainbility Bond Index. Das Volumen ist hier jedoch relativ gering. Wichtig dabei: Das Volumen bei thematischen Indizes wird von der Investorennachfrage bestimmt.
Was lässt sich in Zukunft für Anleihen-ETFs erwarten?
Meyer: Wir sehen eine steigende Nachfrage für Indizes, die ESG-Kriterien und auch Klimadaten integrieren. Ich erwarte, dass sich dieser Trend kurz- und mittelfristig fortsetzt: Investoren schätzen den Wert dieser zusätzlichen Daten, weil sie das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele vorantreiben.
Wang: Bei Anleihen sehen sich Anleger mit neuen Marktbedingungen konfrontiert. Gemeint sind damit eine höhere Volatilität, eine höhere Inflation und eine wahrscheinlich restriktivere Geldpolitik. Vor diesem Hintergrund ist es ratsam, sich auf eine anhaltende Volatilität einzustellen. Angebotsfaktoren wie Materialengpässe, Lieferprobleme oder Arbeitskräftemangel dürften für einen weiter schwankungsreichen gesamtwirtschaftlichen Nachrichtenfluss sorgen. Zusammen mit der schwierigen Aufgabe der Notenbanken, beim Kampf gegen die Inflation das richtige Mittelmaß zu finden, lässt das ein ausgeprägteres Auf und Ab an den Finanzmärkten erwarten.