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Ökonom Dieter Wermuth
Die EZB hat Orientierungsprobleme
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Ökonom Dieter Wermuth Die EZB hat Orientierungsprobleme

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Nun ja, das überrascht niemanden mehr. Es entspricht der Botschaft, die die Frühindikatoren aussenden, und auch den jüngsten Prognosen. Die EU-Kommission erwartet für 2023 im Jahresdurchschnitt, dass das reale BIP Eurolands gegenüber dem Vorjahr nur um 0,3 Prozent zunimmt, wobei die Abwärtsrisiken überwiegen. Für Deutschland wird es zu einem Rückgang von 0,6 Prozent kommen.

Die Kurse und Preise der drei wichtigsten Asset-Klassen – Anleihen, Aktien, Immobilien – sind erwartungsgemäß eingebrochen und haben die Anleger ärmer gemacht (ihnen allerdings auch endlich wieder günstigere Einstandspreise beschert): Die Abdiskontierung künftiger Erträge und Cashflows erfolgt zu höheren Sätzen und vermindert auf diese Weise ihren Gegenwartswert – und den Marktwert.

Dennoch wäre es aus Sicht der EZB verfrüht, schon bald einen geldpolitischen Kurswechsel ins Auge zu fassen, oder das auch nur öffentlich anzudeuten. Das wäre ein Greenspan-Put à l’Europe oder à Lagarde, also eine Wette darauf, dass die EZB die Spekulanten nicht hängen lässt. Die Folgen solcher Puts sind bekannt. Zwar hat die Bereinigung der wirtschaftlichen Strukturen inzwischen begonnen, aber es bleibt noch viel zu tun. Eine Rezession ist manchmal nötig, um die Fehlallokation von Ressourcen zu korrigieren, zu der es im Verlauf eines Booms fast immer kommt. Ich denke dabei an den Tech-Sektor, an die überhitzten Immobilienmärkte in vielen Ländern, an den überteuerten Dollar und nicht zuletzt an die Preise von fossilen Energieträgern. Außerdem sieht es, wie erwähnt, an den Arbeitsmärkten Europas bisher weiterhin gar nicht nach Krise aus. Sie vertragen daher durchaus etwas mehr Gegenwind.

Die Frage ist, wann die EZB weich wird. Auf der anderen Seite des Atlantiks sind die annualisierten Inflationsraten am aktuellen Rand inzwischen deutlich zurückgegangen. Es mehren sich die Vorhersagen, dass es dort in den kommenden Monaten im Gefolge sinkender Rohstoffpreise, einer sich anbahnenden Wirtschaftskrise in China und einer schwachen Endnachfrage zu weiter rückläufigen Inflationsraten kommen wird. Beispielsweise erwartet die EU-Kommission für die USA nach einer Rate von 7,9 Prozent in diesem Jahr nur noch eine von 3,4 Prozent im nächsten.

Bisher hat die Fed allerdings nicht signalisiert, dass sie Handlungsbedarf sieht, offenbar wohl vor allem deshalb, weil die Arbeitslosenquote nach wie vor rekordniedrig ist, niedriger noch als im Euroraum. Vorläufig dürfte für Chairman Powell das Vorbild eher Paul Volcker heißen als Alan Greenspan. Er will erst handeln, wenn die Inflationsrate ihr Ziel erreicht hat. Von zuletzt 7,7 Prozent bis 2 Prozent ist noch ein ziemlich weiter Weg.

Und solange die Fed nicht kippt, wird die EZB nicht kippen. Stellen wir uns darauf ein, dass die europäischen Leitzinsen erst einmal weiter steigen, die Renditekurve weiter invertiert und dass die Assetmärkte nervös bleiben und schwächeln.


Über den Autor: Dieter Wermuth ist Ökonom und Partner und bei Wermuth Asset Management.

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