Individuelle Gehaltsverhandlungen sind keine Rechtfertigung dafür, einem Mann für die gleiche Arbeit mehr Geld zu zahlen. Das stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 16. Februar 2023 (Aktenzeichen: 8 AZR 450/21) klar.

Der Fall

Geklagt hatte die Außendienstmitarbeiterin eines Metallunternehmens, deren Grundgehalt rund 1.000 Euro unter dem ihres männlichen Kollegen lag. Der Arbeitgeber rechtfertigte das höhere Gehalt mit dem besseren Verhandlungsgeschick des Mannes. Beim Einstellungsgespräch sie ihm das gleiche Gehalt wie seiner Kollegin angeboten worden. Da er ablehnte und die Stelle zügig besetzt werden sollte, legte der Arbeitgeber 1.000 Euro obendrauf. Die Klägerin und ihr Kollege haben die gleiche Arbeit verrichtet und sich über längere Zeiträume gegenseitig vertreten.

Das Urteil

Nachdem die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, gab das Bundesarbeitsgericht der Frau Recht. Die BAG-Richter sahen in den ungleichen Gehältern für gleiche Arbeit eine Benachteiligung wegen des Geschlechts. Daher sprachen sie der Klägerin knapp 15.000 Euro entgangenen Lohn und eine Entschädigung in Höhe von 2000 Euro zu.

Eine Frau habe Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt, so die BAG-Richter. Daran ändere nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt. Dann müsse eben auch die Kollegin mehr Geld bekommen.

 

 

„Gleiche Bezahlung kann nicht wegverhandelt werden“

„Gleiche Bezahlung kann nicht wegverhandelt werden – diese Klarstellung war überfällig", sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Die Gesellschaft, die gegen Diskriminierung kämpft, hatte die Klage unterstützt. „Dieses Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern“, so Lincoln.

Doch bis zu einer gerechten Entlohnung ist es noch ein langer Weg. Frauen bekommen für gleiche Arbeit 7 Prozent weniger Geld als Männer. Das stellt das Statistische Bundesamt fest.  Und Gehaltsunterschiede von 1.000 Euro bei gleicher Arbeit sind eher die Regel, als die Ausnahme – auch in der Versicherungswirtschaft. So kämpft Gabriele Gamroth-Günther, Leiterin einer Kraftfahrtschadenabteilung bei den VGH Versicherungen in Göttingen, seit mehr als vier Jahren für ein diskriminierungsfreies Gehalt. Auch sie musste feststellen, dass ihr Monatsgehalt 1.000 Euro unter dem Durchschnitt ihrer männlichen Kollegen in vergleichbaren Positionen liegt. Sie ging durch alle Instanzen, erzielte mehrere Teilerfolge – das letzte Wort in der Sache ist allerdings noch nicht gesprochen.

390.000 Gehaltsangaben analysiert

Mit zunehmender Erfahrung vergrößert sich in einigen Branchen die Gehaltsschere. Das stellte das Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu im vergangenen Jahr fest. Die Forscher haben knapp 390.000 Gehaltsangaben analysiert. Dabei beschränkten sie sich auf die Branchen, für die bei Kununu mindestens 10.000 Gehaltsangaben vorlagen – und mindestens 33 Prozent davon von Frauen. Sie verglichen die Gehaltsschere, auch Gender Pay Gap genannt, zwischen Frauen und Männern mit bis zu drei Jahren Berufserfahrung mit dem bei 6 bis 10 Jahren Berufserfahrung.

In welchen Branchen der Gender Pay Gap mit zunehmender Erfahrung am stärksten steigt, erfährst du in unserer Bildstrecke.