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Investmentausblick der Profis Kommt die Wende oder geht der große Ausverkauf weiter?

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Gottfried Urban ist Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Urban & Kollegen aus Altötting und verfügt über mehr als 35 Jahren Investmenterfahrung. Den Grundstein für das heutige Unternehmen legte Gottfried Urban bereits 1997 mit der Gründung eines bankenunabhängigen Finanzinstitutes. Er und seine Kollegen konzentrieren sich auf die Vermögensberatung von Privatkunden, aber auch für Stiftungen, institutionelle- und Firmenkunden.

DAS INVESTMENT: Wie lange werden die Zeiten schwierig bleiben und wovon hängt das ab? 

Gottfried Urban: Eine niedrige Arbeitslosenrate und der Fachkräftemangel sowie ein starker Immobilienmarkt ermöglichen der Notenbank in den USA nun relativ zügige Bremsmanöver in Form steigender Zinsen. Der Zeitrahmen für einen Zinsanstieg wird sehr begrenzt bleiben. Womöglich werden wir eine der kürzesten Zinsanstiegszyklen sehen. Im Jahr 2023 könnten die Zinsen wieder fallen, weil die Wirtschaft in eine Rezession schlittert. In der Tendenz müssen wir aber generell mit einem etwas höheren Zinsniveau rechnen. Eigentlich sind die schwierigen Zeiten an der Börse überschaubar, denn in drei Viertel der Zeit steigen im Durchschnitt auf Jahressicht die Kurse. Die bekannten Erwartungen sind weitgehend eingepreist und die Bewertungen sind gut zurückgekommen. Zwar ist noch Luft nach unten da, aber ein Crash kommt nicht, dafür ist die Marktstimmung schon zu schlecht und zu viel eingepreist.

 

Welche Anlageklassen und Regionen favorisieren sie, insbesondere wenn die Konjunktur in eine Rezession abrutscht? 

Urban: Es gibt immer Gewinner und Verlierer. Dazu kommt, dass die Notenbank in den USA sich auf einen Zielzins, der etwas über 3 Prozent liegen soll, festgelegt hat, was ungewöhnlich ist, aber signalisieren soll, dass die Zinsen der 1970er Jahre nicht Thema sein werden. Das Ziel sollte schnell erreicht werden. Die Anleihemärkte haben überreagiert. Eventuell müssen bei einer abkühlenden Konjunktur, die mit sinkenden Inflationszahlen einhergehen wird, die Zinsen nicht mehr weiter angezogen werden beziehungsweise kann der Anstieg vorher bereits gestoppt werden und der Anleihemarkt könnte sich kräftig erholen. Bei ersten Äußerungen für nahende Zinssenkungen dürfte sich die Stimmung deutlich aufhellen.

Eine wichtige Erkenntnis aus früheren Jahrzehnten der Hochinflation ist, dass die Teuerung bei einer Rezession zunächst stark zurückging, aber bald wieder zurückkehrte. Die Notenbankzinsen blieben in den 1940er Jahren (2 Rezessionen) relativ niedrig und in den 1970er Jahren (3 Rezessionen) wurde die Inflation hingegen mit stark steigenden Zinsen bekämpft. Die Schuldenquote in den USA lag in den 1970er Jahren deutlich unter dem aktuellen Niveau, was Spielraum für hohe Zinsen bedeutete.

Gottfried Urban
Gottfried Urban © Urban & Kollegen

Während und nach dem zweiten Weltkrieg lagen die US-Staatsschulden etwa auf dem aktuellen Niveau. Hohe Zinsen waren nicht tragbar, durch die Inflationierung konnte der Schuldenstand in den folgenden Jahrzehnten real deutlich reduziert werden. Ein Modell, welches in den 2020er Jahre gut passen könnte. Für die nächsten ein bis drei Jahre werden an den Börsen die alten Grundsätze wieder mehr Geltung bekommen. Die fundamentale Analyse und gering verschuldete Unternehmen und nicht die Zukunftsstory wird wieder mehr Gewicht bekommen. Teilweise hatten wir in den 1970er Jahren einstellige Markt-KGVs, allerdings bei 10 Prozent und höheren Zinsen.

Was raten sie Anlegern? Die gefallenen Kurse zum Einstieg nutzen? Aus Aktien aussteigen? Oder einfach nichts tun?

Urban: Wer jetzt seine Aktienbestände reduziert, der muss sich ein gutes Timing zutrauen, das passt vielleicht zu einem Trader oder einem eher kurz- bis mittelfristig orientierten Investor. Wir betrachten regelmäßig verschiedene Stimmungsindikatoren. Aus meiner Erfahrung lässt sich sagen, dass bei extrem schlechter Stimmung eine Reduzierung der Aktienposition nie empfehlenswert ist. Aktuell ist die Mehrheit der Marktteilnehmer der Meinung, dass der Boden noch nicht erreicht ist, weil rezessive Tendenzen und damit die Gewinnerosionen bei Unternehmen noch nicht eingepreist sind. Für Langfristinvestoren ist die hohe Unsicherheit in den Stimmungsindikatoren aber eine gute Kaufgelegenheit.

Historische Muster zeigen, dass in Zeiten von Stagflation, einer sich straffenden Geldpolitik und Hochinflation Rohstoffe, Gold, Aktien aus dem Bereich der Versorger, Basiskonsumgüter, Energie und Gesundheitswesen relativ gut abgeschnitten haben. So kann man seine Gewichtungen im Moment legen. Und solange der risikolose Zins weit unter dem der Unternehmerrendite liegt, bleiben Aktien die erste Wahl.

Zudem zeigt die hohe Inflation, dass Unternehmen die Preise für den Endverbraucher anpassen können. Solange man ein Depot aus qualitativ hochwertigen Substanzaktien oder Aktienfonds mit niedrigem Kurs zu Gewinn-Verhältnis und einem günstigen Kurs zu Buchwert-Verhältnis zusammenstellen kann, lässt sich auch ein temporärer Kursrückgang an den Börsen gut überstehen. Beimischen kann man Rohstoff-, Bergbauaktien und Versorger, auch wenn diese keine Anlagen für die Ewigkeit sind, in Hochinflationsphasen bieten sie zusammen mit Gold aber gute Investments. 

Aktuell signalisieren die fundamentalen Kennzahlen faire oder teilweise sogar unterbewertete Märkte. Das gilt übrigens auch für so manche Technologiewerte, die teilweise analytisch billiger als Konsumaktien sind, bei mehr Wachstum. Auch der wenig zyklische Gesundheitssektor und oft monopolistische Infrastruktur-Unternehmen bieten tendenziell einen gewissen Inflationsschutz. 

 

Bei manchen Aktienwerten aus der klassischen Industrie sind Rezessionspreise bereits erreicht. Aktive und wertorientierte Aktienfondsmanager wechseln in der Regel rechtzeitig, Indexinvestments sind in Wendephasen hingegen oft zu träge. Zumindest in den nächsten ein bis zwei Jahren besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass aktive Ansätze Mehrwerte liefern. Die Historie zeigt, dass Versorger, Energie, wenig zyklische Bereiche und allgemein sehr niedrig bewertete Aktienmärkte ein gutes Investment bei Zinsanstiegen sind. Dazu kommt noch der ökologische Umbau, der sehr viel alte Industrie und Rohstoffe benötigt. Eine geänderte Einschätzung der Notenbank ist ein Risiko aber auch eine Chance, möglicherweise wird nach einem kurzen Zinserhöhungszyklus wieder schnell auf eine expansive Politik zur Unterstützung eventueller Konjunkturprogramme umgestellt. Dadurch würden sich Aktienmärkte, auch Wachstumsaktien, stark erholen.

Auch eine Katastrophenhausse ist nicht ausgeschlossen: Dabei flüchten Anleger in Aktien, weil keine Anlageklasse mehr Sicherheit vor Inflation verspricht und die Alternativen fehlen. In einem solchen Umfeld gibt es einfach keine 100-prozentige Lösung, deshalb ist es das Beste, auf ein gut gestreutes Depot mit einem Überhang an Value-Aktien zu setzen, das mit Gold und Cash ergänzt wird.

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