Gastbeitrag von Cathie Wood Auf die Konjunkturkrise folgt der Tech-Tsunami
Im letzten Jahr begann eine Umkehr dessen, was unserer Ansicht nach eine der größten Fehlentscheidungen der Geschichte der Währungspolitik angesehen wird. Diese Kehrtwende dürfte nicht nur ein Segen für das Wachstum des Aktienmarktes sein, sondern auch für das Wachstum disruptiver Innovation. Obgleich die Rally am US-Aktienmarkt im letzten Jahr nur einer kleinen Gruppe von Aktien zugutekam – sie dürfte sich fortsetzen und im nächsten Jahr sogar ausweiten, nicht zuletzt aufgrund der überraschend niedrigen Entwicklung von Inflation und Zinssätzen.
Bis Juli 2023 hielt die Fed das Finanzsystem ein ganzes Jahr lang in Schockstarre und erhöhte die Leitzinsen in 24 Schritten von 0,25 bis auf 5,5 Prozent (bezogen auf den Tagesgeldsatz der US-Banken, der vom Offenmarktausschuss der US-Notenbank festgelegt wird). Die Maßnahmen der Fed stoppten den Preisschock, der durch Covid-bedingte Lieferkettenengpässe verursacht wurde und drückten zudem die Rohstoffpreise: Gemessen am Bloomberg Commodity...
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Im letzten Jahr begann eine Umkehr dessen, was unserer Ansicht nach eine der größten Fehlentscheidungen der Geschichte der Währungspolitik angesehen wird. Diese Kehrtwende dürfte nicht nur ein Segen für das Wachstum des Aktienmarktes sein, sondern auch für das Wachstum disruptiver Innovation. Obgleich die Rally am US-Aktienmarkt im letzten Jahr nur einer kleinen Gruppe von Aktien zugutekam – sie dürfte sich fortsetzen und im nächsten Jahr sogar ausweiten, nicht zuletzt aufgrund der überraschend niedrigen Entwicklung von Inflation und Zinssätzen.
Bis Juli 2023 hielt die Fed das Finanzsystem ein ganzes Jahr lang in Schockstarre und erhöhte die Leitzinsen in 24 Schritten von 0,25 bis auf 5,5 Prozent (bezogen auf den Tagesgeldsatz der US-Banken, der vom Offenmarktausschuss der US-Notenbank festgelegt wird). Die Maßnahmen der Fed stoppten den Preisschock, der durch Covid-bedingte Lieferkettenengpässe verursacht wurde und drückten zudem die Rohstoffpreise: Gemessen am Bloomberg Commodity Index (BCOM) orientieren sich die Preise durch die Politik der Fed wieder an jenem deflationären Trend, der seit der Großen Finanzkrise im Juli 2008 zu beobachten ist (siehe Grafik).
Heute ist der Bloomberg Commodity Index auf ähnlichem Niveau wie vor mehr als 40 Jahren in den frühen 1980er Jahren, was darauf hindeutet, dass die Inflationsängste der Fed fehl am Platz sind. Unserer Ansicht nach ist das Problem heute eher Deflation – das heißt ein genereller Preisrückgang. Bereinigt um die am Erzeugerpreisindex (PPI) gemessene Inflation liegt der BCOM nämlich unter dem Niveau, das er hatte, als die USA 1971 den Goldstandard aufgaben (siehe zweite Grafik).
KI und Robotik werden den Markt entscheidend verändern
Nachdem die Fed die deflationären Auswirkungen auf den Wohnungsbau, die Automobilindustrie, gewerbliche Immobilien und die Investitionsausgaben beobachtete, pausierte sie im vergangenen Sommer ihre Straffungsmaßnahmen. Zur gleichen Zeit erzielte das Unternehmen OpenAI mit seiner Software ChatGPT bemerkenswerte technologische Durchbrüche, die die sich abzeichnende Deflation beschleunigen könnten.
Denn auch wenn die schöpferische Zerstörung – versinnbildlicht etwa durch den Übergang von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren zu Elektrofahrzeugen – den Boom im Zusammenhang mit KI und anderen disruptiven Technologien möglicherweise verschleiert, dürften die Wachstumswellen, die mit der Konvergenz der 14 Technologien unserer fünf Hauptplattformen - Robotik, Energiespeicherung, KI, Blockchain-Technologie und Multiomics-Sequenzierung - einhergehen, in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Makrometriken zunehmend und deutlich beeinflussen.
Da die Fed jedoch anscheinend immer noch den einen Kampf gegen Inflation führt – ein Kampf, der unserer Meinung nach bereits 2008 beendet wurde – zeigte sich der Aktienmarkt in den ersten Monaten dieses Jahres recht unruhig. Tritt tatsächlich eine Deflation ein, würde dies Unternehmen mit hohem Fremdkapitalanteil schaden und jenen mit hohen Bargeldbeständen zugutekommen.
Unserer Ansicht nach zeigen sich die deflationären Auswirkungen der aktuellen Politik der Fed bereits in Form von Insolvenzen bei Gewerbeimmobilien, sowohl bei Bürogebäuden als auch bei Mehrfamilienhäusern und könnten in einer weiteren Runde von Insolvenzen regionaler Banken gipfeln. Sollte die Fed die Zinssätze als Reaktion darauf senken, dürften solche Unternehmen die Hauptnutznießer sein, die ihre kurzfristige Rentabilität opfern, um zu investieren und potentiell von technologisch ermöglichten, superexponentiellen Wachstumschancen zu profitieren.
Kurzfristig stehen Gewinne auf dem Spiel
Nachdem die Unternehmen während der Engpässe in den Lieferketten in den Jahren 2021 und 2022 ihre Gewinne durch höhere Preise steigerten und auch 2023 noch Gewinne erzielen konnten, stoßen sie nun auf eine Herausforderung: Sie verlieren allmählich ihre Preissetzungsmacht, was sich negativ auf die Gewinnmargen auswirkt. Laut Bloomberg sank die Bruttogewinnmarge der im S&P 500 gelisteten Unternehmen kontinuierlich: Von 34,8 Prozent in den letzten fünf Jahren und 34,6 Prozent im vierten Quartal 2022 auf 33,5 Prozent im vierten Quartal 2023.
Wir sind der Ansicht, dass sich dieser Rückschlag verstärken wird, solange die Fed die Zinsen nicht deutlich senkt und die Unternehmen Innovationen wie künstliche Intelligenz nicht proaktiv nutzen, um nicht nur ihr Produktivitätswachstum voranzutreiben, sondern auch um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die alte Lösungen ersetzen.
Um die negativen Auswirkungen auf Gewinne in der Zwischenzeit zu begrenzen, werden viele Unternehmen in der Zukunft vermutlich Mitarbeiter entlassen – und das, nachdem sie während des durch die Covid-Maßnahmen verursachten Arbeitskräftemangels mit großer Mühe versucht haben, diese anzuheuern. Zugleich werden sie danach streben, die Lohnzuwächse einzuschränken, was die Bedenken der Fed hinsichtlich der zugrunde liegenden Inflation weiter zerstreuen wird. Infolgedessen könnte sich die nominalen Konsumausgaben über die jüngsten Schwachstellen hinaus abschwächen, die mit dem Wohnungsbau, der Automobilindustrie und anderen Großeinkäufen verbunden sind, was zu weiteren Preissenkungen und einer Verringerung der Gewinnspannen führen würde.
Der Schaden wird sich nicht unkontrolliert ausweiten
In ihrer Erwartung, weiterhin wesentlichen Einfluss auf die Preise zu haben, haben viele Unternehmen ihre Lagerbestände nicht abgebaut, nachdem die Einkaufsmanager als Reaktion auf die Knappheit in den Jahren 2021und 2022 Waren doppelt oder sogar dreifach geordert hatten. Diese Schwankung an Neubestellungen lässt sich auch in realen Zahlen ausdrücken: Die Neubestellungen (ohne Landwirtschaft) stiegen ausgehend von einem Rückgang um minus 138 Milliarden US-Dollar zweiten Quartal 2021 auf 207 Milliarden im vierten Quartal des gleichen Jahres an – und sind seitdem nicht wieder in den negativen Bereich gefallen.
Seitdem hat sich die Akkumulation weiter beschleunigt und beläuft sich auf weitere 913 Milliarden US-Dollar. Infolgedessen ist der Gesamtbestand in den letzten zweieinhalb Jahren auf vier Prozent des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) angestiegen – eine Rate, die in der Regel erst mit Beginn einer Rezession zurückgeht (Bestandsdaten von Macrobond, 29.2.2024). Wenn die Preise fallen und die Bestandsverluste zunehmen, werden die Bruttomargen der Unternehmen weiter leiden und möglicherweise in Richtung des 2009 erreichten Tiefststands von 30,1 Prozent abfallen.
Nach der von uns als „rollende Rezession“ bezeichneten Entwicklung der letzten Jahre ist es unwahrscheinlich, dass sich der Schaden unkontrolliert ausweitet. Sowohl in den USA als auch im Rest der Welt ist ein Großteil des Schadens bereits angerichtet worden. Entgegen der These von der „sanften Landung“, die an der Wall Street vorherrschte, sind die Umsätze vieler globaler Marktführer im vierten Quartal im Jahresvergleich tatsächlich gesunken: Darunter bei 3M (-1,8 Prozent), UPS (-7,8 Prozent), Kraft-Heinz (-7,1 Prozent), Exxon Mobil (-12,3 Prozent), Thermo Fisher (-4,9 Prozent), Home Depot (-2,9 Prozent), Cisco (-5,9 Prozent), Texas Instruments (-12,7 Prozent).
Mit anderen Worten: Europa, das Vereinigte Königreich, Japan und China befinden sich bereits in oder am Rande einer Rezession. In der Zwischenzeit wird die weltweite Schwäche bei Gewerbeimmobilien wahrscheinlich mehrere Gruppen unverhältnismäßig stark treffen: Beteiligungsgesellschaften, private Kreditgeber und andere Großinvestoren, die auf der Suche nach Rendite vor und während Covid ihr Kapital gehebelt haben. In dem Maße, in dem sich die Preise und spekulativen Exzesse abbauen, werden die wichtigsten Entscheidungsträger in den Unternehmen wahrscheinlich ihre Investitionspläne überprüfen und neu bewerten, einschließlich den Ausgabenanstieg für künstliche Intelligenz.
ChatGPT auf den Spuren von AOL
Rund 30 Jahre nachdem America Online (AOL) 1993 seinen eigenen E-Mail-Dienst erstmals mit dem Internet verbunden und damit einen der wichtigsten „Aha-Momente“ der Technologiegeschichte ausgelöst hat, hat ChatGPT die Fantasie von Verbrauchern, Unternehmen und Finanzmärkten beflügelt.
Angesichts der Lehren, die man aus der Geschichte des Internets gezogen hat, könnte das Kapital, das im vergangenen Jahr in alles, was mit KI zu tun hat, geflossen ist, einen Realitätscheck erhalten, da sich die Unternehmen auf die Notwendigkeit konzentrieren, strategische Pläne für eine bahnbrechende Technologie zu entwickeln, die in den kommenden Jahren wahrscheinlich die Gewinner von den Verlierern trennen wird.
Sowohl aus der Sicht von Unternehmen wie von Investoren stehen Manager nun vor einer Reihe von wichtigen Entscheidungen, wie die Analyse von Ark nahelegt: Sie müssen den Wettbewerb zwischen Cloud-Anbietern und KI-Unternehmen, die von den Kapitalmärkten finanziert werden, bewerten, Arbeitsabläufe detailliert abbilden und Daten aus weit verstreuten Abteilungen finden beziehungsweise integrieren - alles entmutigende und zeitaufwändige Aufgaben -, bevor sie KI strategisch und effektiv einsetzen können. Wenn der Verlust der Preissetzungsmacht die Gewinnspannen der Unternehmen unter Druck setzt, wie wir es erwarten, dann wird die Unternehmensleitung den Entscheidungsprozess vielleicht verzögern, aber auch das Gefühl der strategischen Dringlichkeit verstärken.
Nvidia und Lehren aus dem Cisco-Hype
Ein gutes Beispiel aus der Vergangenheit ist Cisco Systems. Ich kann mich noch gut an das Verhalten dieser Aktie während eines vergleichbaren, wichtigen Moments erinnern. In den dreieinhalb Jahren bis zum 9. März 1994 stieg die Aktie von Cisco um das 31-fache von 0,07 auf 2,24 Dollar (split-bereinigt) während die Router, Switches und anderen Geräte des Unternehmens den Aufbau des Internet-Backbone weltweit dominierten. Die Kapitalmärkte begannen, Konkurrenten zu finanzieren, sogar solche mit Systemen, die denen von Cisco unterlegen waren, was die strategischen Planer in den Unternehmen verwirrte und die Ausgaben kurzfristig in den Keller drückte.
In den vier Monaten bis zum 15. Juli 1994 fiel die Cisco-Aktie um 51 Prozent, da die Unternehmen, die bereits über eine mögliche Rezession besorgt waren, ihre Ausgabenverpflichtungen überprüften und überlegten. Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, verzeichnete Cisco einen weiteren Anstieg um das 73-fache bis zum Höhepunkt der Internetblase im Jahr 2000.
Heute gibt es ein Unternehmen in einer vergleichbaren Situation: Nvidia. Das Unternehmen steht im Mittelpunkt des KI-Zeitalters und hat sich in den rund neun Jahren seit dem 8. Februar 2015, als Analysten zu verstehen begannen, dass Durchbrüche beim Deep Learning das Tempo der KI-Veränderungen beschleunigten, zum Vorteil von GPUs (Grafikprozessoren), um das 117-fache gesteigert.
Nvidia hat in den fünf Jahren seit der letzten Bestandskorrektur, die durch einen Krypto-Winter im Oktober 2018 ausgelöst wurde und die Aktie innerhalb von drei Monaten um 56 Prozent abstürzen ließ, ebenfalls um das 23-fache zugelegt.
Die Einführung von ChatGPT im November 2022 hat Nvidia mehrere Quartale beispiellosen Wachstums beschert, da Cloud-Service-Provider, andere Internetunternehmen und kapitalkräftige Start-ups sich darum gerissen haben, Nvidia-Hardware zu erwerben und KI-Modelle zu trainieren - und dabei wahrscheinlich GPUs doppelt und dreifach geordert haben.
Der KI-Wettbewerb wird härter
Heute geht Nvidia von einer sequenziellen Verlangsamung des Wachstums aus, und Berichten zufolge ist die Vorlaufzeit für seine Grafikprozessoren von 8 bis 11 Monaten auf 3 bis 4 Monate gesunken, was darauf hindeutet, dass das Angebot im Verhältnis zur Nachfrage zunimmt.
Wenn es zu keinem explosiven Wachstum bei den Einnahmen durch Software kommt, die einen solchen Überbau von Grafikprozessorkapazitäten rechtfertigen würde, wären wir nicht überrascht, eine Pause bei den Ausgaben zu sehen, die eine Korrektur der überschüssigen Lagerbestände verstärkt, insbesondere bei den Cloud-Kunden, die mehr als die Hälfte des Umsatzes von Nvidia mit Rechenzentren ausmachen, darunter vor allem Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure (Azure) und Google Cloud Platform (GCP).
Längerfristig könnte sich der Wettbewerb im Gegensatz zum Beispiel Cisco verschärfen, nicht nur, weil AMD erfolgreich ist, sondern auch, weil Nvidias Kunden - Cloud-Service-Anbieter und Unternehmen wie Tesla - ihre eigenen KI-Chips entwickeln. Abgesehen davon haben Futuristen seit 2019 die Zeit bis zur AGI (Artificial General Intelligence – das heißt, eine hypothetische KI, die jede intellektuelle Aufgabe verstehen kann) von 80 Jahren auf 8 Jahre verkürzt – es ist also alles möglich!
Innovation löst Probleme
Sobald die Konjunkturkrise abgeschlossen ist, dürfte KI weiter durchstarten und andere Technologien auf ihrem Weg nach vorne mitziehen – darunter Robotik, Energiespeicherung, Blockchains und multimikrobielle Sequenzierung – und Konvergenzen schaffen, die unserer Meinung nach nicht zu exponentiellem, sondern zu superexponentiellem Wachstum führen werden – also zu rasanten Wachstumsraten, die sich mit der Zeit beschleunigen.
In unserem Bericht „Big Ideas 2024“ haben wir die wahrscheinlichen Auswirkungen dieser Konvergenzen auf die einzelnen Technologieplattformen und auf das globale Wirtschaftswachstum bis 2030 detailliert beschrieben. Im Ergebnis dürfte sich das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wahrscheinlich nicht von den durchschnittlichen drei Prozent des letzten Jahrhunderts auf die Konsenserwartung von 2,6 Prozent verlangsamen, sondern sich vielmehr auf ein Wachstum von sechs bis acht Prozent und mehr beschleunigen - eine Erwartung, die wir in keiner anderen Wirtschaftsprognose gefunden haben.
Wenn sich die fünf Innovationsplattformen, die 14 verschiedene Technologien umfassen, in den nächsten sieben Jahren so entwickeln, wie es unsere Forschungsergebnisse nahelegen, dürfte die mit ihnen verbundene Aktienmarktkapitalisierung jährlich um etwa 40 Prozent steigen, von 15-20 Billionen US-Dollar heute auf 220 Billionen US-Dollar im Jahr 2030.
Wir haben das Privileg, an der Schnittstelle zwischen der alten und der neuen Welt disruptive Innovationen zu erforschen. Innovation löst Probleme, von denen wir auch im Jahre 2024 nicht zu wenige haben.
Über die Autorin:
Cathie Wood ist die Gründerin und Investmentchefin von Ark Invest, einem Unternehmen, das sich auf Investitionen in disruptive Technologien spezialisiert. Ihre berufliche Laufbahn begann bei Capital Group, gefolgt von Positionen bei verschiedenen Finanzinstituten, bevor sie Ark Invest gründete. Wood hat sich durch ihre Investitionen in Technologiebereiche wie Kryptowährungen und künstliche Intelligenz einen Namen gemacht.