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Edelmetall-Experte analysiert Gold oder Silber – worauf Anleger nun setzen sollten

Nitesh Shah, Researchdirektor beim ETF-Anbieter Wisdom Tree
Nitesh Shah, Researchdirektor beim ETF-Anbieter Wisdom Tree: „Der Gegenwind für den Goldpreis nimmt ab“ | Foto: Fotomontage Jessica Hunold, Wisdom Tree, Canva

Gold schloss das Jahr 2022 auf unverändertem Niveau ab, obwohl die Inflation so hoch war wie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr. Durch steigende Anleiherenditen und eine Aufwertung des US-Dollars erfuhr das Edelmetall enormen Gegenwind. Seit Ende des Jahres 2022 kehrt sich dieser Gegenwind allmählich um.

Die realen Anleiherenditen stiegen 2022 von -1,1 Prozent zu Beginn des Jahres auf 1,6 Prozent zum Jahresende und verzeichneten damit den aggressivsten Abverkauf seit Jahrzehnten. Der Goldpreis verharrte unterdessen auf unverändertem Niveau (-0,3 Prozent im Jahresvergleich), obwohl er innerhalb des Jahres einen Höchststand von über 2.000 US-Dollar/Unze erreicht hatte und auf rund 1.600 US-Dollar/Unze abgestürzt war. Das Ausmaß des Abverkaufs bei Anleihen belastete den Goldpreis jedoch. Ohne die steigenden Realzinsen würde das Edelmetall angesichts der ausgeprägten Inflation wohl zu deutlich höheren Kursen notieren. Jetzt, da die Realzinsen erneut sinken (seit Oktober 2022), flaut ein Aspekt des Gegenwinds für Gold ab.

Gegenwind für Gold flaut ab

Während des größten Teils des Jahres 2022 hatte die Abwertung des US-Dollars den Goldpreis in US-Dollar belastet. Doch seit Oktober 2022 verliert die amerikanische Währung an Wert, was den Goldpreis nach oben treibt. Gemessen an den Trends bei Anleihen und Dollar gehen die Märkte offenbar davon aus, dass wir uns dem Ende des Straffungszyklus der US-Notenbank nähern – und dass es wohl irgendwann in diesem Jahr zu einem Umschwenken auf eine gelockerte Geldpolitik kommen wird.

 

Die Stimmung gegenüber Gold, gemessen an der spekulativen Positionierung in Gold-Futures, war im September 2022 auf den niedrigsten Stand seit April 2019 gefallen. Unter der Last steigender Anleiherenditen und eines aufwertenden US-Dollars schien Gold weder der höchsten Inflationsrate seit 1981 noch den heftigsten Abverkäufen an den Börsen seit der globalen Finanzkrise etwas entgegenzusetzen zu haben. Mit dem Abklingen des Gegenwinds bei Anleihen und Dollar lassen wir jedoch den Höhepunkt des Pessimismus bei diesem Edelmetall hinter uns.

Anlegerstimmung gegenüber Gold erholt sich

Digitale Assets, die oft mit Gold als Pseudowährung verglichen wurden, verzeichneten ein schreckliches Jahr 2022. Vielen Anlegern wurde klar, dass Gold und digitale Assets sich vollkommen unterschiedlich verhalten. Sie haben erkannt, dass sie nicht als konkurrierende, sondern als sich ergänzende Anlagen betrachtet werden sollten. Als die Handelsplattform FTX im November 2022 zusammenbrach, erhielt die Stimmung in Bezug auf Gold Auftrieb.

Die spekulative Netto-Long-Positionierung in Gold ist zwar noch weit von dem (nachlaufenden 1-Jahres-) Höchststand von 321.000 Kontrakten entfernt, der im März 2022 kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs erreicht wurde, baut sich aber rasch wieder auf. Anleger sind optimistischer, was eine Kehrtwende in der Zentralbankpolitik angeht. Sie wissen aber auch, dass ein solches Ergebnis alles andere als sicher ist und dass bei einer zu starken Straffung das Risiko einer Rezession droht. Gold gilt oft als defensive Absicherung.

Während die Stimmung der Anleger gegenüber Gold über weite Strecken des Jahres 2022 gedämpft war, zeigten die Zentralbanken besondere Begeisterung für das Edelmetall. Die Goldkäufe der Zentralbanken erreichten im Jahr 2022 mit 1.135,7 Tonnen den höchsten Wert seit 1967. Es könnte schwierig sein, dieses Hoch 2023 zu übertreffen. Aber die Zentralbank Chinas meldet ihre Käufe inzwischen wieder (seit November 2022), und wir erwarten starke Käufe aus Russland (die wahrscheinlich nicht gemeldet werden).

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Goldpreis: Neues nominales Allzeithoch in Sicht

Unter Bezugnahme auf wirtschaftliche Konsensprognosen zeigt das Goldmodell von Wisdom Tree, dass der Goldpreis bis zum Ende des Jahres 2.080 US-Dollar/Unze erreichen könnte. Dieses Niveau wäre höher als das bisherige nominale Allzeithoch von 2.061 US-Dollar/Unze, das am 7. August 2020 verzeichnet wurde. In realen Werten entspricht dies allerdings nicht dem Allzeithoch, das im Januar 1980 aufgestellt wurde. Tatsächlich würde es um 19 Prozent unter diesem Stand liegen, und real gesehen befindet es sich immer noch 11 Prozent unter dem Höchstwert von 2020.

 

Silber hinkt Gold hinterher. Das Gold-Silber-Verhältnis liegt mehr als eine Standardabweichung über dem historischen Durchschnitt seit 1990. In der Tat hat sich das Gold-Silber-Verhältnis seit August 2021 nicht mehr seinem historischen Durchschnitt angenähert. Die gestiegene Unsicherheit heizt die Nachfrage nach Gold an. Die spekulative Netto-Long-Positionierung in Gold-Futures stieg im Januar 2023 um 23.830 Kontrakte, während die spekulative Positionierung in Silber-Futures um 5.330 Kontrakte zurück ging.

Dies verdeutlicht die unterschiedliche Sicht der Anleger auf die beiden Edelmetalle verdeutlicht. Silber, das eher industriell angewendet wird, leidet unter der ungewissen Lage der Weltwirtschaft. Die globalen Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe – ein Indikator für die weltweite Industrietätigkeit – verbessern sich zwar. Sie bewegten sich aber im Januar 2023 immer noch im rückläufigen Bereich.

Silber weiterhin abgeschlagen

Die Nachfrage seitens der Unterhaltungselektronik nach Silber dürfte angesichts von Rezessionsängsten gedämpft bleiben. Gleichzeitig dürfte die Nachfrage nach dem Metall in der Photovoltaik und im Automobilsektor aufgrund der grünen Energiepolitik stark bleiben. Zudem bestehen für Silber einige Aufwärtsrisiken: Das Metall ist ein Nebenprodukt der Kupfergewinnung. Die Kupfermine Las Bambas von MMG Ltd. in Peru wurde am 1. Februar nach gewaltsamen Protesten im Land für Wartungsarbeiten gesperrt. Die Mine fördert jährlich schätzungsweise 5,7 Millionen Unzen Silber, die als Nebenprodukt anfallen. Ein geringeres Silberangebot könnte die Preise stützen.

Angenommen, dass die großen Zentralbanken irgendwann im Jahr 2023 ihre Politik lockern, anstatt ihren aggressiven Kurs fortzusetzen, könnte sich der Nebel der Unsicherheit lichten. In diesem Fall könnte Silber möglicherweise Gold überflügeln. Aber davon sind wir wohl noch weit entfernt.

Über den Autor:
Nitesh Shah leitet das Rohstoff- und Makro-Research in Europa bei der auf Indexprodukte – ETFs und ETPs – spezialisierten Fondsgesellschaft Wisdom Tree.

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